Klima – eine neue Perspektive
Kapitel
Kapitel 2: Jenseits von Klima-Fundamentalismus
Wo das Engagement lebendig ist
„Grün = wenig CO2“ – diese Gleichsetzung reduziert eine komplexe Ursachenmatrix auf eine einzige messbare Variable und verleitet uns zu glauben, dass Nachhaltigkeit bedeuten könnte, mit dem gewohnten Lebensstil einfach weiter zu machen wie bisher. Diese Gleichsetzung rechtfertigt und motiviert Strategien wie „grünes Wachstum“ und „nachhaltige Entwicklung“, die unbedingt notwendig sind, wenn das gegenwärtige Wirtschaftssystem mit seinem unstillbaren Ressourcenhunger beibehalten werden soll. Sie verleitet uns, den Planeten weiterhin als eine einzige riesige Rohstoffquelle zu betrachten – alles zu unserer Verfügung – nur sollten wir bei der Extraktion keine Treibhausgase mehr produzieren. Vor allem untermauert diese Gleichsetzung die Vorstellung, dass die Menschen das Steuer in der Hand hätten und den Planeten Erde wie eine Maschine bedienen könnten: Input kontrollieren, Output messen. Sie verleitet zu einer linearen Reaktion auf ein nicht-lineares Problem. Aber die Erde ist keine Maschine. Sie ist lebendig, und sie wird für das Leben nur dann bewohnbar bleiben, wenn wir entsprechend mit ihr umgehen.
In den folgenden Kapiteln werde ich Beweise dafür vorlegen, dass die Klimaauswirkungen von Abholzung, industrieller Landwirtschaft, Zerstörung der Überschwemmungsgebiete, Verlust von Artenvielfalt, Überfischung und anderer Misshandlungen von Land und Meer viel größer sind, als die meisten Wissenschaftler bisher glaubten; im gleichen Zug ist die Kapazität intakter Ökosysteme das Klima zu modulieren viel größer als man bisher angenommen hat. Das heißt, dass, selbst wenn wir die CO2-Emissionen auf Null reduzieren, aber nicht gleichzeitig überall auf lokaler Ebene etwas gegen die fortschreitende Umweltzerstörung unternehmen, das Klima trotzdem völlig aus dem Gleichgewicht geraten wird.
Im Gegensatz zur Annahme, die den Ergebnissen meiner oben erwähnten Google-Suche zugrunde liegt, ist die Genesung auf globaler Ebene abhängig von der Genesung auf lokaler Ebene. Die wichtigsten globalen politischen Maßnahmen wären solche, die Bedingungen schaffen, unter denen wir Millionen lokaler Ökosysteme wiederherstellen und schützen können. Heute passiert oft das Gegenteil: Durch Freihandelsabkommen können Konzerne beispielsweise Regierungen für entgangene Profite verklagen, die auf lokale Umweltschutzmaßnahmen zurückzuführen sind.
Wenn wir ökologische Heilung in globalen Begriffen zu fassen versuchen, verlieren wir unsere geliebten Orte aus dem Blick, die wir verloren haben, die krank sind und sterben, die Orte, die uns am Herzen liegen, die greifbar und uns aus persönlicher Erfahrung bekannt sind, die real für uns sind. Der Blick richtet sich statt dessen auf ferne Zeiten und Orte, und unsere Liebe zu und Verbundenheit mit einem ganz speziellen Ort wird bestenfalls für ein größeres Ziel instrumentalisiert.
Warum war Stella so traurig, als sie ihre geliebte Flussmündung so ohne Leben sah? Weil dort kein Seetang mehr wächst, der somit kein CO2 mehr binden und den Klimawandel nicht mehr abmildern kann? Selbstverständlich nicht. Wäre das der Grund, dann wäre es kein großer Verlust. Er könnte kompensiert werden, indem man eine Seetang-Farm oder einen Wald irgendwo anders pflanzte, oder vielleicht indem man einen gigantischen CO2-Luftfilter in jeder Stadt errichtete. Das würde Stella trösten, richtig?
Mein Freund Seppi Garrett erzählte mir, wie er seinen Sohn zum Fischen an den Conodoguinet Creek mitnahm, dem Lieblingsplatz seiner Kindheit. Beunruhigt stellte er fest, dass das Flüsschen geschädigt ist und die Leute gewarnt werden, ihre Kinder besser nicht ins Wasser gehen zu lassen. „Dann zeige ich ihm eben den Yellow Breeches Creek,“ dachte er, nur um festzustellen, dass auch der am Kippen war. „Dann,“ sagte er, „gibt es natürlich den Susquehanna. Ich bin so traurig, als ich dort ankomme und Ölschlieren auf dem Wasser sehe, dort, wo ich als Kind bis zur Brust ins Wasser gewatet bin, um zu fischen.“ Die Trauer, Empörung und Wut von Seppi haben ihn zu einer Art freiberuflichem angewandten Ökologen werden lassen, als Mitglied einer Bewegung von Menschen, die helfen, geschädigte Gebiete wieder zu sanieren, indem sie die natürliche Sukzession beschleunigen, das Wasser umleiten und die Zusammensetzung der Arten verändern. Wir brauchen Millionen von Menschen, die das tun, die genau auf das Land horchen, eine Beziehung zu ihm aufbauen, und sich in seine Dienste stellen. Woher kommt ein solcher Grad an Engagement? Wieder frage ich: Kommt Seppis Trauer über die Ölschlieren daher, dass sie für die Verbrennung von fossilen Treibstoffen stehen, die CO2 verursacht?
Sie sehen, dass das vorherrschende CO2-Narrativ nicht benötigt wird, um Engagement für die Umwelt zu wecken, nicht einmal bei denen, die es für wahr halten; und noch weniger bei den Klimawandel-Skeptikern, denen wir im nächsten Kapitel einen Besuch abstatten werden.
Ich bin sicher, dass sich in Ihnen etwas geregt hat, als Sie Seppis Geschichte lasen, selbst wenn Ihr eigener Lieblingsplatz in der Kindheit kein Fluss sondern ein Wald war. Wenn unsere Liebe für die Erde, die Berge, das Wasser, das Meer auf andere ausstrahlt und die Trauer sich regt über das, was verloren gegangen ist; wenn wir selbst und die anderen die Unmittelbarkeit dieses Verlustes spüren und aushalten, ohne gleich reflexhaft in bekannte Verhaltensmuster wie Anschuldigung und Suche nach Lösungen zu verfallen, sind wir tief mit der Quelle verbunden, aus der sich Engagement speist.
Das bedeutet nicht, dass wir nicht mit einer globalen ökologischen Krise konfrontiert sind. Wir sind es, und sie geht viel weiter als das, was wir Klimawandel nennen. Aber: Wenn jede und jeder ihre Liebe, Sorge und ihr Engagement ganz dem Schutz und der Wiederherstellung eines geliebten Landstrichs in ihrer Nähe widmet und gleichzeitig diese Sorge um die unmittelbare Lebensumgebung auch allen anderen zugesteht und respektiert, dann stellt sich die Lösung der Klimakrise von selbst ein. Würden wir uns bemühen, jede Flussmündung, jeden Wald, alle Feuchtgebiete, jedes Stück geschädigten und verwüsteten Landes, jedes Korallenriff, jeden See und jeden Berg zu heilen und zu beschützen, dann müsste nicht nur das Bohren, Abbauen, Fracken und Pipline-Bauen großteils aufhören, sondern die Biosphäre würde auch viel widerstandsfähiger.