Klima – eine neue Perspektive
Kapitel
Kapitel 4: Wasser
Gaias Organe
Wälder sind sicherlich nicht die einzigen Organe des Gesamtorganismus Erde im Sinne der Gaia-Hypothese, die für die Aufrechterhaltung des Lebens von wesentlicher Bedeutung sind. Gegründet auf dem Prinzip, dass das Leben günstige Bedingungen für das Leben schafft, wären die wichtigsten Organe diejenigen, die voll von Leben sind: Wälder, Feuchtgebiete, Flussdeltas, Korallenriffe und üppiges Grasland mit seinen riesigen Tierherden. Sie alle gehen weltweit stark zurück, während artenarme Gebiete – Wüsten und marine Todeszonen – auf dem Vormarsch sind.
Das fundamentalistische CO2-Paradigma hat den Feuchtgebieten, den Wäldern, dem Seegras und den Prärien, die enormes Speicher- und Abscheidungspotential für Kohlenstoff aufweisen, willkommene Aufmerksamkeit eingetragen. Die drei Meter tiefe Humusschicht des amerikanischen Mittleren Westens gibt Zeugnis von dieser Kapazität und von den desaströsen Folgen des Pflügens, bei welchem Mutterboden der Erosion und der Oxidation organischen Materials zu CO2 ausgesetzt wird. Im nächsten Kapitel werde ich solche Ökosysteme, die keine Wälder sind, und auch kultiviertes Land durch die Linse des Kohlenstoffs anschauen.
Wenn wir über den Kohlenstoff hinaus das Wasser und weitere Elemente betrachten, sehen wir sogar noch klarer die akute planetare Wichtigkeit dieser Ökosysteme. Unberührtes Grasland erfüllt viele derselben Funktionen wie Wälder, es saugt effektiv Niederschläge auf und schützt den Mutterboden, verhütet Überflutungen, mildert Dürreperioden, fördert Wolkenbildung und füllt das Grundwasser wieder auf. Die dicke Matte einer Grasnarbe schwächt den Anprall des Regens auf den Boden und unterbindet Erosion; der kohlenstoffhaltige Humus, den die Wurzeln im Lauf der Zeit ablagern, ist ein Schwamm für Regenwasser, bindet es an organische Moleküle und verlangsamt außerdem die Verdunstung.
So wie ein Wald mehr ist, als eine Ansammlung von Bäumen, so ist das Grasland mehr, als eine Anhäufung von Gräsern. Es ist ein lebendiges Ökosystem, das auch Pflanzenfresser, Raubtiere und unzählige Wirbellose umfasst. Regenwürmer belüften den Boden und produzieren regenspeichernde Ton-Humus-Komplexe; Herdentiere weiden, zertrampeln und düngen hohes Gras, welches dann zu Mulch und schließlich zu Humus wird. Pilze verbinden sich mit Regenwürmern, Bakterien, Wurzeln, Insekten und mit anderen Pilzen zu komplexen Gemeinschaften, die Nährstoffkreisläufe etablieren und chemische Informationen austauschen. Jedes Mitglied des Graslandes ist lebendig, und die Gesamtheit ist es auch.
Wenn Wälder, Grasland, Feuchtgebiete, Korallenriffe, usw. zu Gaias lebenswichtigen Organen zählen, dann könnten die einzelnen Arten vielleicht als Zellen und Gewebe angesehen werden. Selbst wenn nicht bei allen ein sichtbarer, direkter Effekt auf Kohlenstoff- und Wasserkreisläufe ersichtlich ist, haben sie vielleicht dennoch einen. Ein altes Navajo-Sprichwort lautet: „Ohne die Präriehunde wird es niemanden geben, der nach Regen heult.“ Das klingt wie glatter Aberglaube – außer dass die Beinahe-Ausrottung der Präriehunde im zwanzigsten Jahrhundert in der Tat mit zurückgehenden Regenfällen einherging. Und nun stellt sich heraus, dass die Vorstellung der Navajo letztendlich gar nicht so abergläubisch war, sondern vielmehr eine scharfsinnige Einsicht in die Ökologie des Wassers. Bill Mollison, Lehrer der Permakultur-Bewegung, schrieb:
Das belustigte die Wissenschaftler, die wussten, dass es keine denkbare Beziehung zwischen Präriehunden und Regen gibt, und sie empfahlen in einigen Wüstengegenden, die in den 1950ern als Weideland bepflanzt wurden, die Ausrottung aller höhlenbauenden Tiere ‚um die spärlichen Wüstengräser zu schützen‘. Heute ist diese Gegend praktisch zu einem Ödland geworden.[1]
Mollison bot die Erklärung an, dass die Höhlen der Präriehunde und anderer Tiere wie Lungenbläschen sind. Wenn der Mond oben vorüberzieht, bringen Gezeitenkräfte Wasser aus den Grundwasserschichten näher an die Oberfläche und liefern Feuchtigkeit für den Regen. Judith Schwartz fügt hinzu, dass die Tunnels der Präriehunde dem Regenwasser erlauben, in den Boden einzudringen, anstatt abzufließen, und so die Grundwasserreservoire aufzufüllen[2]; außerdem halten die Präriehunde den sehr durstigen Mesquitebaum in Schach.
Feuchtgebiete sind, wie der Name schon nahelegt, ebenfalls entscheidend für einen gesunden Wasserkreislauf. Sie verlangsamen das Wasser auf seinem Weg vom Land zum Meer und geben ihm Zeit, ins Grundwasser hinab zu sickern oder in die Atmosphäre aufzusteigen und Regenfälle zu speisen. Feuchtgebiete waren immer schon im Rückzug, weil Menschen sie zu landwirtschaftlichen Zwecken entwässerten – auch heute noch. Das gegenwärtige Landschaftsbild Nordamerikas mit seinen Bächen, Gräben und Flüssen, die in deutlich begrenzten Bachbetten verlaufen, ist das Resultat massiver Eingriffe in die Landschaft. Laut dem Forscher Steve Apfelbaum
waren viele der derzeit als Flüsse erster, zweiter und dritter Ordnung klassifizierten Wasserläufe in den ursprünglichen Vermessungsurkunden des amerikanischen Zentral-Grundbuchamts noch als bewachsene Mulden, Feuchtgebiete, Feuchtprärien und Sümpfe verzeichnet.[3]
Ingenieurstechnischen Maßnahmen (etwa der Begradigung mäandrierender Flussläufe für die Schifffahrt) wie auch der Beinahe-Ausrottung der Biber geschuldet, wurde das ursprünglich langsame Fortkommen des Wassers vom Land zum Meer stark beschleunigt: die Fließgeschwindigkeit der Flüsse nahm um Größenordnungen zu. Global bedeutet dies, dass das Land schneller Wasser verliert als bekommt, was Trockenperioden unumgänglich macht und zum Anstieg der Meeresspiegel beiträgt.
Ironischerweise wird ein Großteil der Zerstörung von Feuchtgebieten in neuerer Zeit ausgerechnet im Namen des Kampfes gegen den Klimawandel unternommen, da große Wasserkraftwerke oft ernste hydrologische Störungen verursachen. So war der afrikanische Sahel einmal Heimat eines ausgedehnten, fruchtbaren Feuchtgürtels von unglaublicher Biodiversität, der von jahreszeitlichen Überflutungen gespeist wurde.
Sie werden schon lange immer weniger, seit die Ära der Staudämme in den 1980ern begann, die von Entwicklungsorganisationen zur Erzeugung von Elektrizität und Kontrolle von Überflutungen gefördert wurden. Als Resultat hat der Tschadsee nur noch 5 Prozent seiner einstigen Ausdehnung. In der Folge kam es zu sozialen Verwerfungen, die die Menschen in die Arme von Boko Haram getrieben und zu großen Migrationswellen nach Europa geführt haben. Als nächstes ist das innere Nigerdelta an der Reihe, ein enormes Feuchtgebiet so groß wie Belgien, das von einem Mega-Dammprojekt in Guinea bedroht wird.[4] In Yale Environment 360 schreibt Fred Pearce:
Das Austrocknen von Feuchtgebieten wird oft dem Klimawandel angelastet, obwohl der wahre Grund häufig in stärkeren menschlichen Eingriffen in den Flusslauf liegt.[5]
Wie bequem es doch ist, den Klimawandel zu beschuldigen, verglichen damit, die grundlegende Strategie der Entwicklungshilfe für die Dritte Welt in Frage zu stellen.
Ich möchte hier zwei weitere Biome nennen, die normalerweise nicht als Ökosysteme gezählt werden: landwirtschaftliche Nutzflächen und urbane Gebiete. Wie ich später erläutern werde, geht es bei der Heilung des Planeten nicht darum, dass wir uns in einen separaten menschlichen Bereich zurückziehen und die Natur in Ruhe lassen. Nicht durch einen möglichst geringen Einfluss der Menschen wird die Genesung stattfinden, sondern dadurch, dass wir eine andere Art von Einfluss nehmen; durch eine andere Form von Teilhabe an der Natur, bei der die Menschheit sich wieder als Verlängerung der Natur, nicht als ihr Gegenteil begreift.
So wie es steht, sind vom Menschen stark beeinflusste Gebiete, wo immer sich die Moderne ausgebreitet hat, geschädigte, kranke Landstriche, die nicht mehr in der Lage sind, ihre Funktion zur Aufrechterhaltung einer Homöostase im Sinn der Gaia-Theorie zu erfüllen. Nackte Erde, wie sie durch landwirtschaftliches Pflügen sichtbar wird, trifft man in der Natur fast nie an – und das aus gutem Grund. Sie ist wie eine offene Wunde, Fleisch ohne Haut, die schnell ihre lebensspendende Feuchtigkeit verliert und verweht wird. Von der Sonne verkrustet und ohne eine Wurzelstruktur, die sie zusammenhält und belüftet, kann sie das Wasser weder aufnehmen, wenn es regnet, noch es danach länger speichern. Chemie-intensive Landwirtschaft fügt dieser Verletzung noch eine weitere hinzu, indem sie Regenwürmer und anderes Bodenleben vernichtet, das dem Wasser hilft, in tiefere Schichten vorzudringen. Regenwürmer erhöhen nicht nur die Aufnahmekapazität des Bodens für Feuchtigkeit, sie und das ganze Ökosystem, das sie begünstigen, mehren die Speicherung von Kohlenstoff und fördern das Wachstum von Methanotrophen – Bakterien, die sich von Methan ernähren und damit die Menge dieses Treibhausgases mindern.[6]
Nackter, gestörter Boden blutet nicht nur Kohlenstoff an die Atmosphäre aus, er trägt auch direkt zu regionaler Erwärmung bei: Eine Forschungsstudie stellt einen Zusammenhang zwischen der Zunahme von Zwischenfruchtbau in kanadischen Getreideanbaugebieten, niedrigeren Sommertemperaturen, höherer Luftfeuchtigkeit und mehr Regen fest.[7] Zwischenfruchtbau ist ein Verfahren der wachsenden Bewegung für regenerative Landwirtschaft, bei der man versucht, Wasser und Boden mit Hilfe von Anbaumethoden wieder herzustellen.
Andere moderne landwirtschaftliche Praktiken, die Wasser und Boden zusätzlich schädigen sind u.a.:
- die Anlage großer, ununterbrochener Felder ohne Hecken, ohne verwilderte oder baumbestandene Stellen und ohne Konturen, die während starker Regengüsse Wasser bremsen und Erosion verhindern könnten;
- die Verwendung schwerer Landmaschinen, welche den Boden verdichten und ihn damit weniger durchlässig machen;
- künstliche Bewässerung, wodurch Böden zunehmend versalzen;
- umfangreiche Nutzung chemischer Dünger, Herbizide, Fungizide und Insektizide, die das Bodenleben zerstören.
Mit diesen und anderen nicht nachhaltigen Praktiken wird Schluss sein, sobald wir begreifen, dass das Wohlergehen der Menschen untrennbar mit dem Wohlergehen von Boden und Wasser zusammenhängt.
In urbanen Gebieten ist die Schädigung des Bodens sogar noch gravierender; oft ist er vollständig versiegelt. Weil es nicht versickern kann, wird das Wasser zu einem Ärgernis, das durch Gullis und Rohre als „Abwasser“ abgeleitet wird, wo es schnell zum Meer zurückkehrt, ohne in den Wasserkreislauf – Evapotranspiration und Auffüllung des Grundwassers – eingetreten zu sein. Währenddessen erschöpfen die Städte die Wasserressourcen des Umlandes, um ihren Bedarf zu decken.
Ohne Vegetation, die Wasser ausdünstet und die Luft kühlt, kommt es in Städten zum urbanen Wärmeinsel-Effekt. Die gestaute Wärme beeinflusst das Verhalten des Windes und erzeugt Hochdrucksysteme, welche Niederschläge in die Umgebung abtreiben – zum Beispiel in kühleres Bergland – wo es dann zu Wolkenbrüchen, Erosion und Überflutungen kommt.[8] Zu einem geringeren Grade bildet jeder unbewachsene Boden (wie gepflügte Felder) eine Wärmeinsel und erzeugt Hochdruck, der den Regen in Berge oder Meere treibt.
Klimawandel-Skeptiker berufen sich manchmal auf den Wärmeinsel-Effekt und behaupten, die globalen Temperaturdaten wären verzerrt, da die Messstationen meistens in oder nahe bei urbanen Wärmeinseln stünden. Selbst wenn das stimmt, ist das wenig Trost, wenn der ganze Planet durch Urbanisierung, Bebauung und Abholzung zu einer einzigen Wärmeinsel wird. Die Auswirkungen sind nicht nur lokal; durch die Störung des hydrologischen Wärmetransports beeinflussen sie auch Dürren und Überschwemmungen, oft durch komplexe, nicht lineare Ursachenketten. Zum Beispiel haben Abholzung und Trockenlegung von Feuchtgebieten entlang der Mittelmeerküste zu verringerter Evapotranspiration und weniger Sommergewittern nahe der Küste, aber intensiveren Stürmen in Zentraleuropa geführt. Weniger Küstenstürme führen schließlich zu erhöhter Versalzung des Mittelmeers und verändern damit das mediterran-atlantische Salzgefälle, was wiederum Atlantik-Stürme intensiviert und das Wettermuster sogar am fernen Golf von Mexiko verändert.[9]
Als das heute vorherrschende Umweltnarrativ verschleiert der Klimawandel den viel größeren, unmittelbaren und sehr lokalen Einfluss von veränderter Raumnutzung auf die Entstehung von Dürren, Überflutungen, Hitzewellen und anderen Extremwetterlagen. Der Klimawandel wird, statt ein Anreiz für umweltfreundlichere Strategien zu sein, zu einem bequemen Sündenbock, der die Aufmerksamkeit von effektiven, lokalen Maßnahmen ablenkt und die Verantwortung für die ökologische Genesung entfernten, globalen Institutionen zuschiebt.
Wenn wir zum Beispiel verstehen, dass Abholzung und Pflügen zu Erosion führt, wodurch der Boden das Regenwasser nicht mehr gut absorbieren kann, was dann zu Überflutungen führt, dann müssen wir das Problem notwendigerweise lokal angehen: Wälder und Feuchtgebiete schützen, biologische Landwirtschaft mit Direktsaat (ohne Pflug) praktizieren und den Humus aufbauen. In Unkenntnis dieser Tatsachen bleiben der umweltbewussten Person nur Maßnahmen wie die Installation einer Photovoltaikanlage auf dem Dach oder bei Flugreisen kompensatorisch für Baumpflanzungen zu spenden. Der Einsatz für den Umweltschutz richtet sich auf ferne Ziele weit weg von zuhause, und die schädigenden Aktivitäten gehen weiter.
Die Hurrikans Irma und Harvey wirken noch immer nach, während ich dies schreibe, und die Medien verkünden, dass sie vom Klimawandel verschärft worden seien. Ich verstehe zwar die wissenschaftliche Logik hinter dieser Behauptung – wärmeres Wasser verdunstet schneller, wärmere Luft kann mehr Feuchtigkeit aufnehmen, usw. – aber das Argument scheint bei genauer Betrachtung schwach.[10] Die Gesamtenergie der Zyklone hat sich in den zurückliegenden Jahrzehnten nicht in nennenswerter Weise erhöht, und auch nicht deren Regenmenge, Häufigkeit oder Stärke. Ungeachtet dessen lenkt die Debatte, ob nun der Klimawandel verantwortlich zu machen sei, die Aufmerksamkeit von den lokalen Faktoren ab, die solche Stürme zerstörerischer für Menschen und Ökosysteme machen. Ein Hauptfaktor, zumindest in Florida und Texas, ist die verbreitete Trockenlegung von Feuchtgebieten, die Regenwasser aufsaugen und Sturmfluten dämpfen können. Beide Regionen haben außerdem Abholzungen, den Missbrauch von Ackerböden und erhebliche Verstädterung erlebt. Den Klimawandel zu beschuldigen verschleiert diese Faktoren und erlaubt die Fortführung dieser Praktiken, als wäre nichts gewesen.
Ähnlich wie mit den Überflutungen verhält es sich mit der Dürre. Ich las neulich einen ansonsten aufschlussreichen Artikel über Immigration von Vijay Prashad, der behauptet:
Die Gründe [für die Emigration aus Lateinamerika] sollte man im Zusammenbruch der Landwirtschaft in diesen Ländern finden, der hauptsächlich durch vom Klimawandel herbeigeführte Dürren, Hochwasser, Hitzewellen und Waldbrände verursacht wird.[11]
Lassen wir für den Moment mal die ökonomischen und politischen Gründe für den Zusammenbruch der Landwirtschaft beiseite, wie etwa Freihandelsabkommen, die die traditionelle kleinbäuerliche Landwirtschaft unrentabel machen, die den transnationalen Agro-Konzernen nützen und die die landwirtschaftliche Ökonomie zu einer reinen Exportgüter-Industrie umwandeln. Zwar haben globale klimatische Muster (nämlich der starke El Niño von 2015-16) die letzte Hungersnot herbeigeführt, aber diese Länder haben auch intensive Abholzungen erleiden müssen. Guatemala verlor 17% seines Regenwaldes in den fünfzehn Jahren von 1990 bis 2005; danach hat sich die Geschwindigkeit der Entwaldung noch verdreifacht;[12] Verluste waren vor allem in den berühmten Nebelwäldern zu beklagen.[13] Eine ähnliche Geschichte ist in Honduras passiert, das in derselben Zeit 37% seiner Regenwälder verloren hat, und es ist kein Ende in Sicht. El Salvador ist der traurigste Fall von allen mit 85% Abholzung seit den 1960ern. Wenn diese Regenwälder abgeholzt sind, fließen Regenfälle ab, statt aufgesogen zu werden und den Grundwasserspiegel wieder aufzufüllen, was sich in Erosion, Erdrutschen und Überflutungen äußert. Quellen fallen trocken, die Niederschläge werden geringer und das lokale Klima wird heißer und trockener. Bühne frei für eine verheerende Dürre.
Vor den Abholzungen erhielten die Regenwälder Süd- und Lateinamerikas reichlich Niederschläge – mit oder ohne El Niño. Deshalb werden sie Regenwälder genannt. Darüber hinaus hat das El-Niño-Phänomen, das Dürre und Hitzewellen in weiten Teilen der nördlichen Hemisphäre bringt, seit den 1970ern an Häufigkeit und Intensität zugenommen. Dies wird typischerweise dem „Klimawandel“ angelastet, könnte aber auch ein Nebenprodukt von Abholzungen vor allem in Indonesien sein, wo diese Entwaldung die stabilen Tiefdruckgebiete schwächt, die die sogenannte Walker-Zirkulation unterstützen, deren Schwächung die Entstehung von El Niño zur Folge hat.[14]
Wenn der Klimawandel für die Dürren in Lateinamerika verantwortlich gemacht wird, schmälert das die Dringlichkeit, sich mit der lokalen Abholzung zu befassen und verschiebt den Schwerpunkt auf globale Lösungen. Ein ganzer Komplex anderer Ursachen, die über die Entwaldung weit hinaus gehen, erscheint damit nachrangig. Nebenbei gefragt – was verursacht die Entwaldung? Ob nun in Lateinamerika oder anderswo, die Gründe schließen folgendes ein:
- durch vorangegangene Entwaldung und Bodenschädigung veränderte Wetterlagen;
- internationale Freihandelsabkommen, die traditionelle, nachhaltige Praktiken in der Landwirtschaft ökonomisch unrentabel machen und eine Umwandlung von Wäldern in Weideland oder Monokulturen verlangen;
- die „Entwicklungs-“Ideologie , die traditionelle, nachhaltige, kleinbäuerliche Landwirtschaft als rückständig erscheinen lässt;
- die Aushöhlung der indigenen, mit dem Land verwurzelten Spiritualität, die den Schutz von Land und Wasser als heilige Pflicht ansah;
- Auslandsschulden von waldreichen, weniger entwickelten Ländern, die sie zwingen, diese Wälder zu Waren zu machen;
- Erlass von verbrieften Eigentumsrechten an Orten, wo informeller, gemeinschaftlicher Landbesitz ein Entwicklungshindernis war;
- die Ausrottung großer Raubtiere, welche die Population von Pflanzenfressern im Gleichgewicht mit ihrer Umwelt hielten;
- Regierungsstrategien, die darauf abzielen, nomadisch lebende und indigene Menschen in den Mainstream der industriellen Gesellschaft einzugliedern, so dass sie nicht länger die Wildnis hüten können;
- Bevölkerungsdruck, der zu Einschlag für Feuerholz führt;
- illegale Fällungen, begünstigt durch „Korruption“ – die eigentlich das Eindringen von überregionalen, monetarisierten Beziehungen in vormals geschenkbasierte Sozialstrukturen ist;
- unvorhersehbare Folgewirkungen von Umweltstörungen durch Trockenlegung von Feuchtgebieten, Ausbringen chemischer Gifte gegen „Unkraut“ und „Ungeziefer“ und die Ausrottung von Schlüsselarten, wie Bibern, Präriehunden, Wölfen, Elefanten, Nashörnern und Löwen.
Offensichtlich sind das keine isolierten Störungen in einem ansonsten eigentlich intakten System. Das System selbst und die Geschichte von der Separation, von der es durchdrungen ist, erzeugen diese Störungen. Würde man mich drängen, eine einzige verantwortliche Ursache herauszudestillieren, würde ich sagen, es ist das Kappen, die Vereinfachung und die Verarmung von Beziehungen – von Mensch zu Mensch sowie zwischen Mensch und Welt. Und würde man mich drängen, eine universelle Lösung anzubieten, wäre es, die Welt wieder als heilig zu sehen und auch so zu behandeln.
Wenn irgendetwas auf der Erde heilig ist, dann ist es das Wasser. Bisher habe ich es in dieser Diskussion eigentlich noch nicht als heilig hochgehalten; ich habe lediglich das Übel beleuchtet, das uns und dem Planeten durch die Misshandlung von Wasser, Bäumen und Erde widerfährt. Wenn wir sie als heilig betrachten wollen, braucht es mehr. Wie mein Freund Orland Bishop sagt, ist das Heilige etwas, das eines Opfers bedarf; das heißt, es ist etwas, das wir über den Gebrauchswert für uns selbst hinaus wertschätzen, und für dessen Schutz wir Opfer bringen würden.
Andere Kulturen hielten das Wasser durch Zeremonien und Tabus heilig, um es vor allem zu schützen, was es kränken oder verschmutzen könnte. Ich empfehle hier nicht, indigene Zeremonien zu imitieren; vielmehr können wir eine Entsprechung für unsere Zeit finden, die sich auf ihr Wissen bezieht und in unsere neu entstehende Geschichte über die Welt passt. Unsere Wassertechnologien werden eine zeremonielle Qualität annehmen, wenn sie sich an der Wahrnehmung orientieren, die indigene und traditionelle Menschen vom Wasser hatten: dass Wasser ein lebendiges Wesen ist. Die Tür dorthin öffnet sich nun, da die übliche wissenschaftliche Konzeption vom Wasser als homogener, strukturloser chemischer Flüssigkeit obsolet wird.[15]
Die hydrologischen Argumente in diesem Kapitel liefern nur einen kleinen Anstoß dazu, Wasser als heilig zu behandeln, aber sie berühren keine der anderen Fragen des Wassers, die viel schwieriger mit dem Klimawandel in Bezug zu bringen sind – zumindest mit unserem gegenwärtigen Wissen. Eines Tages aber, ich bin sicher, werden wir lernen, dass die Kontamination von Wasser mit Pestiziden, pharmazeutischen Rückständen, industriellen Chemikalien und radioaktivem Abfall das planetare Wohlergehen genauso stark bedroht wie Entwaldung oder Treibhausgas-Emissionen. Wasser ist Leben. Was wir dem Wasser antun, tun wir dem Leben an.
Anmerkungen
[1]Zitiert in Buhner (2002).
[2]Schwartz (2016), 82.
[3]Apfelbaum (1993).
[4]Pearce (2017).
[5]Ebd.
[6]Biodiversity for a Livable Climate (2017).
[7]Ebd.
[8]Kravčík et al. (2007).
[9]Millán (2014).
[10]Siehe NOAA (2018).
[11]Prashad (2017).
[12]All diese Zahlen finden sich auf der Website Mongabay (2018), die einem herzzerreißenden Katalog von Abholzungen in der ganzen Welt enthält.
[13]Community Cloud Forest Conservation (2018).
[14]Hance (2012).
[15]In meinem Aufsatz “The Waters of Heterodoxy” (Eisenstein, 2014) finden Sie eine tiefergehende Diskussion dieses Themas.