Klima – eine neue Perspektive
Kapitel
Kapitel 2: Jenseits von Klima-Fundamentalismus
Die absurden Konsequenzen des CO2-Reduktionismus
Wenn Klimafundamentalismus die Basis für politisches Handeln ist, führt das oft genau zum Gegenteil dessen, was mit den Maßnahmen eigentlich erreicht werden sollte. Das Hauptproblem liegt im zuvor erwähnten Reduktionismus – der verkürzten Darstellung eines vielschichtigen Ursachengeflechts auf eine einzige, benennbare Ursache. Im heutigen umweltpolitischen Diskurs sind das die Treibhausgase, insbesondere Kohlenstoffdioxid (CO2).
Wie bei der Kriegslogik und der Geldlogik ist das Problem beim CO2-Reduktionismus die Verkürzung auf „eine Sache ist wichtig“ statt „alles ist wichtig“. In den Worten von Moreno und Kollegen:
Hat man einmal alle Arten und Ökosysteme in der Bilanz festgehalten, besteht kein Bedarf mehr, sich komplexe Beziehungen, Unsicherheiten und Querverbindungen näher anzusehen … durch den Versuch die Wirklichkeit und ihre Widersprüche in CO2-Äquivalenten auszudrücken, wird kulturelle, symbolische und epistemische Gewalt verübt.[1]
CO2-Reduktionismus ist in den viel breiteren Reduktionismus der Wissenschaft eingebettet. Als reduktionistisch wird der Wissenschaft oft der Versuch vorgeworfen, das Verhalten des Ganzen durch die Eigenschaften seiner Teile zu erklären. Aber diese Engführung beruht auf einem noch viel heimtückischeren und radikaleren Reduktionismus: auf dem Anspruch, die Welt vollständig in Zahlen beschreiben zu können. Dahinter steht die Anmaßung, dass wir eines Tages, wenn alles geordnet, kategorisiert und vermessen ist, jedes Geheimnis gelüftet haben werden, und die Welt endlich unser sein wird. Diese Verkürzung der Wirklichkeit auf Zahlen ist die Reduktion des Unendlichen auf das Endliche, des Heiligen auf das Profane und des Qualitativen auf das Quantitative. Der Anspruch, die gesamte Wirklichkeit unter die Herrschaft des Verstandes zu bringen, verleugnet das Geheimnisvolle.
Das totalitäre Streben, die gesamte Welt in Zahlen zu fassen, wird nie gelingen. Den Messungen und Modellen entgeht immer etwas: das Unmessbare, das Qualitative und das, was irrelevant zu sein scheint. Die Beurteilung ob etwas relevant ist oder nicht, ist durch die Voreingenommenheit der Messenden und oft auch durch wirtschaftliche und politische Faktoren beeinflusst. Man könnte sagen, dass wir unseren Schatten nicht berücksichtigen. Wie vieles, das wir ignorieren oder unterdrücken, bricht es in Form von absurden, unabsehbaren Auswirkungen wieder hervor. So kommt es, dass die Ergebnisse von Entscheidungen, die aufgrund von Zahlen – dem Inbegriff von Rationalität – getroffen wurden, sich oft als absurd herausstellen.
Um das Problem zu verdeutlichen, nehmen Sie die Tehri-Talsperre am Bhagirathi-Fluss in Indien als Beispiel. Sie wurde 2006 gegen den jahrzehntelangen Widerstand von Umweltaktivisten und der lokalen Bevölkerung fertig gestellt. Durch den Damm wurden unberührte Ökosysteme und seit alter Zeit landwirtschaftlich genutzte Flächen überflutet, und deren Bewohner, hunderttausende Menschen, vertrieben. Wie zahllose andere Dämme, die immer noch in Indien, China und Afrika gebaut werden, pries man das Projekt als Beitrag zur Treibhausgasreduktion an. Wie viele anderen Dämme wurde dieser gebaut, um handelbare Emissionszertifikate zu generieren. Oberflächlich betrachtet hat das Projekt sein messbares Ziel erreicht. Aber was ist mit den vertriebenen Dorfbewohnerinnen? Es mag sein, dass sich ihr Leben in einzelnen Punkten, die gemessen werden, verbessert hat: Vielleicht hat man jede Familie in einem Betonbau mit größerer Wohnfläche, besseren Sanitäreinrichtungen und besserer Stromversorgung untergebracht als sie in ihren angestammten Häusern hatten. Aber in Bezug auf die verlorenen Traditionen, die gekappten sozialen Bande, die verlorenen Erinnerungen, das verlorene Wissen und die Einzigartigkeit der nun überfluteten Orte – kurz, in Bezug auf alles, was nicht gemessen werden konnte und alles, was nicht als messenswert erachtet wurde – erlitten die Menschen und die Natur einen schmerzlichen Verlust.
Über all den angerichteten Schaden hinaus ist zudem zweifelhaft, ob der Damm auf lange Sicht den CO2-Ausstoß überhaupt reduziert hat. Bevor sie vertrieben wurden, hatten die Dorfbewohner einen CO2-Fußabruck von Null oder gar einen negativen Fußabdruck, weil durch traditionelle landwirtschaftliche Methoden Kohlenstoff im Boden gebunden werden kann. Nach ihrer Umsiedlung mussten die zu Stadtbewohnern gewordenen ehemaligen Dorfbewohner einen CO2-intensiveren Verbraucher-Lebensstil annehmen, Nahrungsmittel kaufen, die von weit her geliefert werden, und sich Jobs in der Industrie suchen. Außerdem ist jedes Wasserkraftwerk ein weiterer Beitrag zur fortschreitenden Industrialisierung, eine Infrastrukturmaßnahme, die immer weitere Infrastrukturmaßnahmen nach sich zieht. Der Damm wurde nicht statt eines Kohlekraftwerks sondern zusätzlich dazu gebaut.
Wasserkraftwerke erzeugen Strom ohne fossile Kraftstoffe zu verbrennen, soviel stimmt, und es ist einfach, die Tonnen von CO2 zu addieren, die vergleichbare Kohle- oder Gaskraftwerken emittieren würden. Viel schwieriger ist die Berechnung, wie viel Kohlenstoff von den Ökosystemen, die dem Stausee weichen mussten, gebunden werden konnte, oder wie viel Methan von der überfluteten Vegetation freigesetzt wird (nach aktuellen Schätzungen setzen künstliche Stauseen jährlich 104 Megatonnen Methan frei, so viel wie die Methan-Emission aus allen fossilen Quellen zusammengenommen).[2] Noch schwieriger zu berechnen wären die Auswirkungen auf die Nahrungskette durch den Verlust organischer Sedimente für Fische und die Flusslandschaften stromabwärts. Die Sedimente lagern sich in Flussmündungen ab, wodurch Marschen und Feuchtgebiete erhalten bleiben, die ihrerseits als Pufferzone gegen den steigenden Meeresspiegel wirken.[3] In Anbetracht des enormen Potentials von Feuchtgebieten, Kohlenstoff zu speichern, ist es möglich, dass (sogar innerhalb des CO2-reduktionistischen Erklärungsrahmens – ganz zu schweigen vom Wasser-Reduktionismus, über den ich später sprechen werde) der Rückbau von Staudämmen mehr zur Klimastabilität beiträgt als der Bau von Staudämmen. Unsere „wissenschaftliche“ Meinung hängt ganz davon ab, was wir in unsere Messungen miteinbeziehen und was nicht.
Ein folgenschweres Ergebnis der Abkehr von fossilen Brennstoffen ist Landraub von gigantischem Ausmaß in Afrika und Südamerika, seit zunehmend Investitionskapital in den Anbau von Biotreibstoffen fließt. Biotreibstoffe stehen für die extremste Form von Reduktionismus: der Reduktion von Lebewesen auf ihren Brennwert. Im selben Zug werden die bestehende bäuerliche Landwirtschaft und die Ökosysteme reduziert (auf Jatropha-, Palmöl-, oder Zuckerrohrplantagen, auf Hackschnitzelproduktionsbetriebe usw.), so wie die verschiedensten Formen bäuerlicher Lebensweisen auf Lohnarbeit reduziert werden. Im vergangenen Jahrzehnt ist beispielsweise eine Debatte über den Ankauf großer Landflächen in Ghana durch europäische Konzerne entbrannt, die dort Jatropha anbauen wollen. Die ölhaltigen Samen dieser Pflanze sind zwar giftig für Mensch und Tier, eignen sich aber vorzüglich für Biodiesel. Damit sie sich wirtschaftlich rentieren müssen Jatropha-Plantagen groß sein (1.000 Hektar und mehr), Flächen, deren bestehende Vegetation erst einmal beseitigt werden muss. Meist müssen auch noch Kleinbauern beseitigt werden, die das Land bisher nutzten. Da sich das meiste Land in Ghana in Gemeinschaftsbesitz befindet, werden Verträge mit traditionellen Oberhäuptern geschlossen, die oft Analphabeten sind und die rechtlichen Auswirkungen der Dokumente, die sie mit ihrem Fingerabdruck unterzeichnen, nicht abschätzen können, besonders wenn in ihrer Weltsicht Land als heiliges Wesen und nicht als austauschbare Ware gilt.
Daraus folgen massive Zerrüttung traditioneller Lebensweisen, Missachtung der Menschenrechte, Hunger und Umweltzerstörung. Rund um den Globusspielt sich die gleiche Szene ab: Man liest, dass Bauern eines Morgens zu ihren Feldern kommen, wo ihnen jemand sagt, dass sie unerlaubt fremdes Land betreten. Sie müssen das Land aufgeben, in dessen Pflege sie Jahre oder Jahrzehnte investiert hatten. Die Biotreibstoff-Firmen versichern, dass sie nur unbewirtschaftetes Land nutzen und (im leichten Widerspruch dazu), dass Bauern, die enteignet werden, dafür eine Kompensation erhalten, aber diese Behauptungen stimmen nicht immer mit den Tatsachen vor Ort überein. Traditionelle Oberhäupter oder andere einflussreiche Personen werden etwa von den Biotreibstoff-Firmen angestellt, wodurch sie in einen Interessenkonflikt zwischen Konzern und Gemeinschaft geraten. Das Versprechen von Jobs auf den Plantagen, mit denen die Gemeinschaft geködert wird, wird nicht immer eingehalten. Und Jobs sind auch keine Kompensation für den Verlust der Nahrungsmittelanbauflächen. In Südamerika werden Bauern und Umweltaktivistinnen, die sich gegen Landraub und Wasserkraftwerke wehren, manchmal zum Opfer paramilitärischer Erschießungskommandos. Keine dieser Tatsachen scheint in den Tabellen der umweltpolitischen Entscheidungsträger auf. Was wir nicht erfassen, zählt nicht.
Aber zumindest wird durch die Verwendung von Biotreibstoffen weniger CO2 in die Atmosphäre freigesetzt, richtig? Nun ja, nicht unbedingt. Es kommt darauf an, wie Sie rechnen. Beziehen Sie auch die verlorene Kapazität des zerstörten Ökosystems zur Kohlenstoffspeicherung mit ein? Den Kohlenstoff, der durch erhöhte Bodenerosion verloren geht? Die unvorhersehbaren Effekte durch den gestörten Wasserkreislauf? Die Auswirkungen der Landflucht, wodurch die ehemaligen Bauern zu Konsumentinnen des globalen Lebensmittelverarbeitungssystems werden? Ignorieren Sie das alles, dann werden Sie den Glauben aufrecht erhalten können, dass Biotreibstoffe eine gute Sache für den Planeten sind. Kein Zweifel, dass die Biotreibstoff-Firmen daran glauben. Das sind keine schlechten Menschen. Sie haben sich wie die meisten von uns ein Weltbild zurechtgelegt, das ihre Entscheidungen rechtfertigt. Daher müssen wir ein neues Weltbild verbreiten, in dem die Menschen und das Land, der Boden, das Wasser, die Biodiversität und das Leben wertvoll sind, wo Qualität und Beziehung zählen.
Klima-Argumente mussten auch für den groß angelegten Ausbau von Hackschnitzelproduktionsanlagen herhalten, durch die ganze Wälder in den USA und Osteuropa zu Brennstoff gehäckselt werden. Bei näherer Betrachtung stellen sich solche Argumente als Humbug heraus, aber wenn politische Entscheidungen im Vertrauen auf Zahlen getroffen werden, besteht die Gefahr, dass die Zahlen nicht unparteiisch zustande kommen, sondern etwa zugunsten der finanziellen Interessen von politisch einflussreichen Lobbys verzerrt sind. Also senken riesige Häckselmaschinen ihre Fräsen über einen Baumwipfel nach dem anderen, um in Sekundenschnelle ein Lebewesen in „klimafreundlichen Biotreibstoff“ umzuwandeln.[4]
Das Problem sind nicht die Biotreibstoffe an sich. Das Problem ist, wie bei vielen anderen Technologien, der industrielle Maßstab und die Blindheit gegenüber lokalen ökologischen Auswirkungen der Produktion. Wir bauen im Namen der Umwelt ja auch Sonnen- und Windenergie aus und zählen die Tonnen CO2, die dadurch eingespart werden, während wir den Giftmüll, der bei der Produktion von Solarpaneelen und Lithium-Ionen-Batterien anfällt, sowie die Vögel und Fledermäuse, die von Windrädern getötet werden, außer Acht lassen. Die, die solche Themen ansprechen, werden als pingelige Querulanten hingestellt. Noch weniger werden negative Gesundheitsauswirkungen durch das Geräusch der Windräder diskutiert (und wer weiß schon, welchen Effekt das Geräusch auf die Wildtiere hat?) oder die Klimaauswirkungen dessen, was ein Mitglied der indigenen Bevölkerung das „Stehlen des Windes“ genannt hat. Was für uns nicht zählt, erfassen wir nicht.
Jeder Fehlschlag von zahlenbasierten Problemlösungsansätzen heißt für die, die fest an diese Methode glauben, dass es noch mehr Zahlen braucht. Nach ihrer Vorstellung kann die missbräuchliche Verwendung von Zahlen dadurch verhindert werden, dass man noch mehr Daten erfasst, bis die Messungen exakt auch die bisher nicht berücksichtigten Emissionen und verlorengegangenen Kohlenstoffspeicherkapazitäten mit einschließen. Könnten wir alles messen, dann wären wir in der Lage, die optimalen Entscheidungen zu treffen. Aber werden unsere Messungen je alles erfassen? Nein. Irgendetwas wird immer fehlen: das, was für uns nicht zählt.
Typischerweise wird das erfasst, was wirtschaftlichen und politischen Interessen dient, und das, was den Auftraggebern unbewusst wichtig ist. Dann gibt es noch Dinge, die wir gar nicht versuchen zu erfassen, weil sie unmessbar sind, etwa die Heiligkeit des Bodens oder des Wassers, das den Ganges speist. Für andere Kulturen könnte der Fluss hier, der Berg dort, oder jener Wald heilig sein. Ist das nur abergläubisches Denken, das der rationalen Entscheidungsfindung in die Quere kommt? Unsere Kultur zerstört den Planeten, während andere, die einen Sinn für das Heilige hatten, über tausende Jahre hinweg nachhaltig auf ihm lebten. Vor diesem Hintergrund sollten wir vielleicht vorsichtiger sein, bevor wir der Welt unser Wertesystem mit seinem Glauben an die Allmacht der Zahlen aufzwingen.
Indem wir uns auf messbare Größen konzentrieren, entwerten wir das, was wir nicht messen können oder wollen. Biodiversität, giftige Abfälle, radioaktiver Müll etc., ganz zu schweigen von sozialer Ungerechtigkeit und wirtschaftlicher Ungleichheit – das alles verliert an Dringlichkeit unter dem Primat einer CO2-Bilanz. Gewiss, man kann für all diese Aspekte CO2-bezogene Argumente konstruieren, aber damit begibt man sich aufs Glatteis. Wenn Sie sagen: „Legt die Zementfabrik still wegen der CO2 Bilanz“, suggerieren Sie damit: „Gäbe es kein Problem mit dem CO2, dann wäre alles in Ordnung.“ Im Nu verlieren Sie damit auch alle, die nicht an den Klimawandel glauben, als Verbündete. Käme die wissenschaftliche These der globalen Erwärmung aus der Mode, dann brächen auch alle mit ihr konstruierten Argumente zusammen.
Stellen Sie sich vor, Sie möchten einen Tagebau aufhalten. Sie argumentieren mit dem Treibstoffverbrauch der Maschinen und dem Verlust an CO2-Speicherkapazität durch einen Wald, der gerodet werden soll. Und das Förderunternehmen antwortet Ihnen: „Gut, wir machen das so grün wie möglich: Wir werden unsere Bulldozer mit Biodiesel betanken, Solarstrom für unsere Computer verwenden und für jeden Baum, den wir fällen, zwei neue pflanzen.“ Sie verstricken sich in Berechnungen, von denen keine den wahren Grund berührt, warum Sie diesen Tagebau nicht haben wollten: weil Sie diesen Berggipfel, diesen Wald und diese Gewässer, die vergiftet würden, lieben.
Das Scheitern von politischen Entscheidungen, die auf Basis von CO2-Bilanzen getroffen werden, hat eine Gemeinsamkeit: Sie alle bewerten das Globale höher als das Lokale, das Entfernte höher als das Unmittelbare und das Quantitative höher als das Qualitative. Diese Einseitigkeit ist Teil einer allgemeinen Mentalität, nach der für ein fernes Ziel das geopfert wird, was wertvoll, heilig und unmittelbar ist: Dies ist die Geisteshaltung des Instrumentalismus, wonach andere Lebewesen und die Erde selbst nur nach deren Nützlichkeit für uns bewertet werden; dies ist die Hybris zu glauben, dass wir die Folgen unserer Handlungen vorhersagen und kontrollieren könnten; dies ist das Vertrauen auf mathematische Modelle, die uns erlauben Entscheidungen aufgrund der Zahlen zu treffen; dies ist der Glaube, dass wir eine „Ursache“ – eine Ursache, die etwas Bestimmtes und nicht alles ist – identifizieren können, und dass wir die Wirklichkeit am besten verstehen, wenn wir sie zerlegen und einzelne Variablen gegeneinander abgrenzen.
Wenn Entscheidungen „nach Schema F“, d.h. aufgrund von Zahlen getroffen werden, liegen ihnen meist finanzielle Überlegungen zugrunde. Ist es wirklich eine sehr tiefgreifende Veränderung, wenn man die selben Methoden und die gleiche Mentalität statt auf diese auf jene Zahlen anwendet?
Wir befinden uns auf vertrautem Terrain, wenn wir Probleme angehen, indem wir ihre abgrenzbaren, direkten Ursachen bekämpfen. Das ist wieder die Kriegslogik: Verbrechen durch Abschreckung verhindern, das Böse bekämpfen, indem man die Übeltäter dingfest macht, Drogenmissbrauch durch das Verbieten von Drogen verhindern, den Terrorismus verhindern, indem man die Terroristen tötet. Aber die Welt ist komplizierter. Wie uns der Krieg gegen das Verbrechen, der Krieg gegen die Drogen, der Krieg gegen das Unkraut, der Krieg gegen den Terrorismus und der Krieg gegen die Keime zeigen, ist die Ursache-Wirkungs-Beziehung meist nicht linear. Verbrechen, Drogen, Unkraut, Terrorismus und Keime sind wohl eher Symptome einer tieferen, systemischen Disharmonie. Verarmter Boden zieht Unkraut an. Ein ausgelaugter Körper bietet Keimen eine einladende Umgebung. Armut erzeugt Verbrechen. Imperialismus provoziert gewalttätigen Widerstand. Entfremdung, Hoffnungslosigkeit, der Verlust von Sinn und der Zerfall von Gemeinschaften fördern Drogenabhängigkeit. Sich dem Komplex von tieferliegenden Ursachen zuzuwenden ist um vieles schwieriger, als etwas zu finden, das man beschuldigen und bekämpfen kann, indem man auf die gewohnten reduktionistischen Methoden zurückgreift.
Beim Klimawandel dasselbe. Er ist ein symptomatisches Fieber aufgrund eines tiefer liegenden Ungleichgewichts, eines Ungleichgewichts, das alle Aspekte unsere Zivilisation betrifft. Eine Fundamentalistin möchte alle Dinge auf ein Ding zurückführen. Das ist bequem, wenn man sich lieber nicht alles ansehen möchte.
Wie beim Terrorismus, den Drogen oder den Keimen werden die Symptome in einer neuen und virulenteren Form wieder auftreten, wenn wir uns auf die Bekämpfung des unmittelbaren Auslösers einschießen statt uns um die zugrundeliegende Gesamtsituation zu kümmern. Ebenso wird, wenn wir auf Zahlen basierende Entscheidungen treffen, das nicht Erfasste, das vernachlässigte Andere uns bald wieder heimsuchen.
Die Erde ist ein komplexes lebendiges System, dessen Gleichgewicht durch das tatkräftige Zusammenwirken jedes lebenden und nicht-lebenden Subsystems aufrecht erhalten wird. Wie ich später darlegen werde, sind nicht die Emissionen der fossilen Treibstoffe die größte Bedrohung für das Leben auf der Erde, sondern der Verlust von Wäldern, Böden, Feuchtgebieten und marinen Ökosystemen. Leben gebiert Leben. Wenn diese Beziehungen zusammenbrechen, werden die Auswirkungen unvorhersehbar: globale Erwärmung vielleicht, oder auch globale Abkühlung, oder zunehmend instabile Klimaschwankungen eines außer Kontrolle geratenden Systems. Das ist die Bedrohung, vor der wir stehen, und weil in ihr viele Faktoren eine Rolle spielen und sie nicht-linear ist, kann sie nicht überwunden werden, indem man einfach nur CO2-Emissionen reduziert.
Anmerkungen
[1]Moreno et al. (2015).
[2]Magill (2014).
[3]Robbins (2017).
[4]Ein eindrucksvolles Video zur Funktionsweise dieser Maschinen kann man bei Krulwich (2014) anschauen. https://www.npr.org/sections/krulwich/2014/07/02/327243804/watch-it-swallow-an-entire-tree-in-seconds