Klima – eine neue Perspektive
Kapitel
Kapitel 5: Kohlenstoff und Ökosysteme
Geo-Engineering – eine Illusion
Aus der konventionellen CO2-Perspektive steht der Welt eine düstere Zukunft bevor. Die zur Vermeidung einer Katastrophe notwendigen drastischen Einschnitte bei den Emissionen sind unmöglich rechtzeitig zu schaffen. Viele Klimawissenschaftler kommen zu dem Schluss, dass das sogenannte „Geo-Engineering“ die einzig machbare Lösung sei: künstlich die Zusammensetzung der Atmosphäre und die Oberflächenreflektivität der Erde zu verändern, um die Temperaturen zu senken. Die drei am besten erforschten Technologien sind erstens das Verklappen großer Mengen Eisenoxids in die Ozeane, wo sie Kohlendioxid binden und speichern, zweitens das Versprühen von Sulfat-Aerosolen in die Atmosphäre, um die Albedo (das Rückstrahlungsvermögen) des Planeten zu erhöhen, und drittens die Errichtung von Millionen CO2-Luftfilteranlagen.
Zwar stehen viele Wissenschaftler, insbesondere jene, die sich mit Systemtheorie beschäftigen, diesen Vorschlägen höchst skeptisch gegenüber, aber Mainstream-Organisationen wie der Nationale Forschungsrat der USA (National Research Council) unterstützen deren Entwicklung. Gut möglich, dass einige dieser Technologien bereits heimlich getestet werden und zu dem Phänomen beitragen, das manche „Chemtrails“ nennen. Ich habe meine Vorbehalte gegenüber vielen Theorien, die von Chemtrail-Kundlern vorgebracht werden, insbesondere jenen, die sich um Versuche zur vorsätzlichen Gesundheitsschädigung der Bevölkerung drehen, aber von einem Geo-Engineering Standpunkt aus sind Sprühprogramme aus der Luft zur Klimaänderung und Wetterkontrolle durchaus plausibel.[1]
Geo-Engineering-Ansätze wurden aber auch vom Mainstream für mögliche unbeabsichtigte Folgen wie Ozonschwund, Meeresübersäuerung und verringerten Niederschlag in den Tropen weithin kritisiert. Besonders Ökologen sind besorgt. Wenn man bedenkt, welchen Schaden bereits die Einführung einer einzelnen neuen Art wie den Kaninchen in Australien angerichtet hat, stelle man sich die nichtlinearen Folgeeffekte umfangreicher Veränderungen der chemischen Zusammensetzung von Meeren und der Atmosphäre vor. Derartige Geo-Engineering-Vorschläge sind nur aus dem Blickwinkel des Ingenieurs attraktiv, der eine Maschine bedient.
Besondere Sorge bereitet mir die Ausbringung von Sulfat-Aerosolen in die Atmosphäre. Das würde zu einer helleren Blaufärbung des Himmels führen. Wenn wir einmal damit begonnen hätten, den Himmel zu bleichen, wären wir nicht mehr in der Lage, einfach wieder damit aufzuhören, denn das würde zu einem sehr plötzlichen Temperaturanstieg führen. Fänden also nicht gleichzeitig wirkungsvolle Maßnahmen zur Reduzierung von Treibhausgasen (oder aus meiner Sicht zur Wiederherstellung von Ökosystemen) statt, müssten wir für immer weiter Sulfat-Aerosole versprühen.
Dieses Beispiel steht für ein allgemeineres Problem mit dem Geo-Engineering. Wenn es stimmt, dass der Planet lebendig ist, dann werden diese Kühlungsmaßnahmen dazu führen, dass das eigentliche Problem unvermindert fortbestehen kann. Wir glauben, wir hätten es gelöst und könnten einfach mit der Zerstörung der Ökosysteme weitermachen. Indem wir die Symptome kaschieren, verschlimmern wir das Gebrechen. Wenn wir Kohlendioxid als geeignetes Maß für den Gesundheitszustand der Erde akzeptieren, wird das Brummen der CO2-Filteranlagen die Hilfeschreie der Erde übertönen.
Hey, ich habe eine Idee! Dank Maschinen, die Kohlendioxid aus der Luft filtern und Algenbecken, die Sauerstoff herstellen, werden wir eines Tages vielleicht ganz auf die Natur verzichten können. Vielleicht werden wir eines Tages alles Natürliche und Wilde gegen einen künstlichen Ersatz austauschen. Hydrokultursubstrat kann Erde ersetzen, Wasserfilter können Feuchtgebiete ersetzen, Fleisch aus dem Reagenzglas kann Viehzucht ersetzen. Wir könnten die Treibhausgaskonzentration so steuern, dass wir genau die gewünschte Temperatur erhalten. Dann haben wir die Natur vollkommen unter Kontrolle.
Was mich dabei am meisten beängstigt, ist nicht, dass dies eine eitle, zum Scheitern verurteilte Phantasterei ist. Was mich beängstigt, ist, dass wir das tatsächlich schaffen können.
Es gibt eine zweite Kategorie von Geo-Engineering, bei der statt Chemikalien das Leben als Werkzeug benutzt wird. Dies ist zwar ein Schritt auf die Einsicht zu, dass das Leben günstige Lebensbedingungen schafft, aber dieser Ansatz ist noch immer durch eine mechanistische, reduktionistische Geisteshaltung beeinträchtigt.
Als man zunehmend erkannte, welche wichtige Rolle Wald als Kohlenstoffspeicher spielt, hat das zum Beispiel Pläne für eine schnelle massive Wiederaufforstung mit Einsatz von Drohnen hervorgebracht. Die Zahlen sehen gut aus: Mehr Bäume bedeuten weniger CO2.
Wir müssen uns jedoch vor Augen halten, dass ein Wald mehr als nur eine Ansammlung von Bäumen ist. Während Drohnen die Anpflanzung zehn oder hundert Mal schneller erledigen können als Menschen, sind sie notwendigerweise weniger empfänglich für die besonderen Ortsbedingungen. Diese Bedingungen können zum Teil durch Informationen über Boden, das Mikroklima usw. abgedeckt sein, aber diese Daten lassen auch eine Menge aus. Nur Menschen, die in länger dauernder Beziehung zum Land stehen und es aufmerksam beobachten – idealerweise über mehrere Generationen hinweg – können wohl wissen, was sie anpflanzen müssen, um einen lebendigen Wald heranzuziehen. Ohne dieses Wissen scheitern viele Wiederaufforstungsbemühungen oder verschlimmern die Probleme, die sie eigentlich beheben sollten. Der am besten bekannte Fall ist „Chinas Grüne Mauer“ von Bäumen, die man angepflanzt hat, um die Ausbreitung der Wüsten zu stoppen. Zunächst schien es zu funktionieren; den Bäumen gelang es, tief liegende Grundwasservorkommen anzuzapfen. Schließlich aber hatten die durstigen Bäume alles erreichbare Wasser aufgebraucht und starben. Zuvor hatten ihre dichten Kronen den ursprünglichen Gräsern und anderer dort wachsender Vegetation das Licht entzogen. Nach dem Tod der Bäume war der Boden genau jener Erosion ausgesetzt, die ihre Anpflanzung hätte verhindern sollen.[2]
Wir lernen daraus, dass etwas, das an einem Ort funktioniert, anderswo versagen kann. Top-down-Lösungen basieren notwendigerweise auf vereinfachenden Annahmen und vereinheitlichten, skalierbaren Maßnahmen. Wir sollten von der Einstellung Abstand nehmen, dass die Natur ein Objekt sei, das man dirigieren kann, und statt dessen zu einer Haltung in bescheidener Partnerschaft finden. Im Gegensatz zum Geo-Engineering, das als globale Lösung der Zentralisierungslogik und der Globalisierungsökonomie in die Hände spielt, ist die Wiederherstellung von Böden und Wäldern eine grundsätzlich lokale Sache: Wald für Wald, Farm um Farm. Es gibt keine Standardlösungen, weil jedes Stück Land einzigartig ist und seinen besonderen Bedürfnissen entsprechend behandelt werden muss. Es überrascht nicht, dass diese Art von Wiederherstellung meist arbeitsintensiver als konventionelle Maßnahmen ist, weil sie eine direkte, enge Beziehung zum Land erfordert. Letztlich wird keine Geo-Engineering Maßnahme funktionieren, solange sie uns nicht diese enge Beziehung zurückbringt. Das Anpflanzen von Bäumen sollte ein erster Schritt in Richtung Pflege, Partnerschaft und Beziehung zu Bäumen sein. Es bräuchte Millionen von Menschen, die sich im weitesten Sinn auf Waldpflege einlassen, nicht lediglich eine Drohnenflotte. Ist das so schlecht?
Moment mal. Höre ich da gerade eine Stimme sagen: „Ja, ja, langfristig müssen wir es so machen, aber jetzt in diesem Moment müssen wir global handeln, und das schnell! Die Arbeit an der Heilung von Ökosystemen ist zu langsam, sie genügt nicht. Ohne sofortige globale drastische Einschnitte bei den Emissionen überschreiten wir die Schwelle zu einer unumkehrbaren selbstverstärkenden Klimakatastrophe“? Wie immer wird die Zukunft dem kurzfristigen Nutzen geopfert; die Reaktionen, die am ehesten zum Status quo passen, werden allen anderen vorgezogen. Wenn wir rasches Handeln verlangen, ermächtigen wir jene, die bereits an der Macht sind, weil sie die nötigen Mittel besitzen, schnell und global zu handeln. Und weil die Krisen unerbittlich, die Lösungen aber oberflächlich sind, wird die Zukunft nie erreicht. Wir werden lediglich mehr Macht an eben jene politischen Eliten, zentralisierten Bürokratien und politischen Systeme abgetreten haben, die unentwirrbar mit dem gegenwärtigen Regime der Umweltzerstörung verstrickt sind.
Das eigentliche Problem mit dem obigen Einwand besteht darin, dass die klimatischen Vorteile aus der Wiederherstellung und Regenerierung überhaupt nicht lange brauchen; das wird dort noch deutlicher werden, wo ich regenerative Landwirtschaft behandle. Denken Sie daran, ich bezeichne mich selbst als Schwarzseher. Wir müssen die Zivilisation jetzt mit der Ökologie in Einklang bringen. Aber wie machen wir das, ohne in unserer Eile in Reaktionsmuster zu verfallen, die das Problem vergrößern?
Letztlich fordert uns der Klimawandel dazu auf, die seit langem bestehende Vorstellung, dass wir von der Natur getrennt sind, zu überdenken, der zufolge wir glauben, mit der Technik immer irgendwie einen Weg aus dem Schaden heraus zu finden, den wir angerichtet haben. Er fordert uns auf, unsere Biophilie, die Liebe zur Natur und zum Leben wiederzuentdecken, unseren Wunsch, Fürsorge für alle anderen Lebewesen zu tragen, egal ob sie Treibhausgaswerte erhöhen oder senken. Über seine katastrophalen Risiken hinaus ist Geo-Engineering der Versuch, diesem Ruf auszuweichen, um stattdessen den Herrschafts- und Kontrollgedanken in neue Extreme zu treiben und die Ökonomie des Überkonsums ein paar Jahre länger betreiben zu können. Eileen Crist hat es folgendermaßen ausgedrückt:
Selbst wenn die Geo-Engineering-Lösungen genau wie erhofft funktionieren, gleichen sie doch viel stärker dem von Menschen gemachten Klimawandel, als dass sie eine Gegenbewegung darstellten. Sie sind ein Experiment an der Biosphäre, das von technologischer Arroganz, Widerwillen gegen das Infragestellen der Konsumgesellschaft und einem Gefühl getragen wird, den Planeten nach Belieben ummodeln zu dürfen; das ist unfassbar. Diese Elemente, die Techno-Arroganz, die Widerwilligkeit gegen radikalen Wandel und das unbeschränkte Anspruchsdenken im Verbund mit der Erosion unserer Ehrfurcht vor dem Planeten, der das Leben (auch uns!) hervorgebracht hat, genau die sind es, aus denen die im Gange befindliche Apokalypse besteht – wenn Apokalypse das richtige Wort ist; die Wörter Vermenschlichung, Kolonisierung und Besetzung der Biosphäre beschreiben es treffender.[3]
Hält man den technologischen Ansatz (zur vollkommenen Herrschaft der Menschen über die Natur) für den besten, weckt ein detaillierteres Verständnis von Wolkenbildung und Niederschlag unmittelbar den Wunsch, Wolkenbildung und Niederschlag zu manipulieren. Es wird uns bestimmt gelingen, die regellosen Prozesse der Natur zu verbessern! Mit dieser Mentalität nimmt man an: „Wenn wir das Funktionieren der Natur einmal genau genug verstanden haben, werden wir in der Lage sein, sie effektiv zu kontrollieren.“ Um ein kompliziertes (im Gegensatz zu einem komplexen) System zu beherrschen, muss man zunächst alle Variablen verstehen. Wenn wir alle kausalen Zusammenhänge zwischen ihnen beziffert haben, wissen wir, wie man das Ergebnis beeinflussen kann. Das ist verwandt mit der Vorstellung, dass wir Krankheiten durch maßgeschneiderte Medikamente besiegen werden, wenn wir die zellulären und genetischen Prozesse der menschlichen Physiologie im Einzelnen verstanden haben. Allgemeiner gesprochen war es bisher der Heilige Gral der Wissenschaft, die Wirklichkeit auf Grundlage einer „Weltformel“ vollständig reduktionistisch erklären und daher vollkommen kontrollieren zu können.
Sowohl in der Ökologie als auch in Gesundheitsangelegenheiten müssen wir nun auf die harte Tour erfahren, dass das reduktionistische Verstehen komplexer Systeme nicht notwendigerweise deren bessere Beherrschung bedeutet. Urteilt man nach der Zahl wissenschaftlicher Veröffentlichungen, scheint das Wissen über die molekularen Mechanismen zellulärer Funktionen in den letzten fünfzig Jahren exponentiell gestiegen zu sein; trotzdem sind wir noch weit von seit Langem versprochenen „maßgeschneiderten Therapien“ zur Heilung von Krebs oder der neuen Welle von Autoimmunerkrankungen entfernt. Die grundlegenden (sprich: konventionellen) Behandlungsmethoden sind weitgehend die Selben wie in den 1970er Jahren: mit roher chemischer, chirurgischer oder radiologischer Gewalt wird das Karzinom getötet und das Immunsystem außer Kraft gesetzt. Im Bereich Umwelt findet das seine Parallele im Versagen gezielter Ausrottungsversuche gegen invasive Arten. Und auch „intelligente Präzisionsbomben“ und „chirurgische Kriegführung“ haben nicht dazu geführt, dass die erklärten Kriegsziele effektiver erreicht werden.
Ich will nun keineswegs behaupten, dass es nicht manchmal angebracht wäre, ein Geschwür chirurgisch zu entfernen, eine Infektion mit Antibiotika auszumerzen oder eine invasive Art zu verdrängen. Manchmal muss man kämpfen. Der Kampf ist nicht das Problem; das Problem ist, dass der Kampf zur Gewohnheit wird, die aus einer unrichtigen Weltsicht entsteht, in der es darum geht, einen Feind zu finden, den man beschuldigen kann. Allgemeiner ausgedrückt sind nicht kontrollbasierte Top-down-Reaktionen selbst das Problem; das Problem ist, automatisch auf diese zurückzugreifen, wenn man komplexe lebende Systeme nicht versteht. Wir verheddern uns dann in einem Gewirr unbeabsichtigter Konsequenzen; wir drehen und wenden uns glücklos zwischen einer Notlage und der nächsten und verursachen mit unseren Reaktionen den nächsten Ernstfall. Jede Lösung verschlimmert die Krise, die sie lösen sollte.
Was sollen wir dann tun? Es ist ja in Ordnung, Umweltschützer und Entscheidungsträger dazu anzuhalten, Systemdenken anzuwenden, aber offen gesagt wissen wir (kollektiv) nicht, wie man ganzheitlich-systemisch denkt. Weder unsere Institutionen, noch unsere Denkgewohnheiten, und auch nicht unsere soziale, finanzielle und epistemologische Infrastruktur sind darauf ausgerichtet. Unsere gängigen Methoden zur Problemlösung und zur Wissensgewinnung passen von Grund auf nicht zu einer gesunden Teilhabe in komplexen lebenden Systemen. Das bringt uns in eine veritable Zivilisationskrise. Darum ist der Klimawandel ein Übergangsritus für die Menschheit, eine Initiationsprüfung. Das Versagen unserer herkömmlichen Methoden, mit Gewalt die Umweltkrise zu beheben, wird uns auf einen neuen und alten Weg des Umgangs mit der Welt führen. Dieser neue und alte Weg ist bereits an den Rändern der Zivilisation bei indigenen und bäuerlichen Kulturen sowie in vielem, was wir alternativ oder holistisch nennen, sichtbar. Ihm fehlt allerdings neben einer ausreichend breiten Anwendungskultur ein einigendes Narrativ.
Anmerkungen
[1]Ich werde die Diskussion an dieser Stelle nicht weiterführen. Wenn es Sie interessiert, schauen Sie sich die Dokumentation Overcast: Klimaexperiment am Himmel an. Ich bin diesbezüglich agnostisch, obwohl ich einige seltsame Dinge gesehen habe, etwa einen Jet, der einen unterbrochenen Kondensstreifen mit regelmäßigen Stößen von zwei Sekunden quer über den ganzen Himmel gezogen hat. Vielleicht hat er dabei Bereiche verschiedenen Feuchtigkeitsgehalts der Luft passiert, aber die Präzision der gestrichelten Linie, die er dabei am Himmel produzierte, war auffällig.
[2]Luoma (2012).
[3]Crist (2007).