Klima – eine neue Perspektive
Kapitel
Kapitel 3: Die Schein-Diversität der Klima-Meinungen
Die falsche Diskussion
Jetzt warten Sie sicher schon ungeduldig auf meine persönliche Einschätzung welche Seite Recht hat; vielleicht sind Sie bereit für einen Seufzer der Erleichterung in der Erwartung, dass ich das oben Gesagte als eine intellektuelle Übung relativieren und Ihnen versichern werde, dass ich – natürlich – an den Klimawandel glaube. Auf welcher Seite stehe ich? Okay, hier eine Zusammenfassung meiner Meinung, die ich in diesem Buch ausdifferenzieren werde:
Wir haben es in der Tat mit einer schweren Klimakrise zu tun. Dennoch ist die Erwärmung per se nicht die größte Bedrohung. Die ist das, was wir „Klima-Störung“ nennen könnten. Diese Störung wird primär durch die Zerstörung der Ökosysteme weltweit verursacht: durch das Trockenlegen von Feuchtgebieten, den Kahlschlag von Wäldern, den Ackerbau und die Bodenerosion, die Dezimierung der Fische, die Zerstörung von Habitaten zu Erschließungszwecken, die chemische Verschmutzung von Luft, Boden und Wasser, das Aufstauen von Flüssen, die Ausrottung von Raubtieren usw. Durch die Unterbrechung des Kohlenstoffkreislaufs, des Wasserkreislaufs und anderer bisweilen geheimnisvoller Prozesse des Gaia-Organismus wird die Widerstandsfähigkeit der Ökosphäre zerstört. Damit verliert sie die Fähigkeit, weitere von Menschen verursachte Treibhausgase zu verkraften. Das mag auf eine fortschreitende Klimaerwärmung hinauslaufen oder nicht, aber es wird definitiv zunehmend größere Schwankungen nicht nur der Temperaturen, sondern auch, wichtiger noch, der Regenmenge bringen. (Das könnte in Gang sein, wie die jüngste Flut an Rekordaufzeichnungen extrem hoher und tiefer Temperaturen an verschiedenen Orten rund um den Globus zeigt.)
In der Standard-Klimatheorie gilt die durch CO2 verursachte Rückhaltung von Strahlungsenergie als Auslöser des Klimawandels, während der Zerstörung der Ökosysteme nur eine sekundäre Rolle zukommt. Nach der Standard-Klimatheorie führt dieser Strahlungsantrieb (der Treibhaus-Effekt) zu einer Erwärmung der Atmosphäre um etwas mehr als 1°C pro verdoppelter CO2-Konzentration. Für sich genommen liefert das wenig Grund zur Aufregung. Alarmierend ist die mögliche Verstärkung dieser Erwärmung durch eine Reihe von positiven Rückkopplungseffekten. Ich werde zeigen, dass diese viel stärker von biologischen Prozessen abhängen als uns bisher bewusst war. Wenn biologische Systeme gestört werden, verlieren sie ihre Fähigkeit, sich an ein verändertes Klima anzupassen und stabile Bedingungen aufrechtzuerhalten, unter denen sie gut gedeihen können.
Das Problem in der Klimadebatte ist also vor allem eine falsche Schwerpunktsetzung. Ob irgendwelche globalen Durchschnittstemperaturen ansteigen, ist nicht das Hauptproblem. Wir führen die falsche Diskussion. Die Klima-Störung wird weitergehen, auch wenn wir gar kein CO2 mehr emittieren, und sie wird schweres Unheil über uns bringen, selbst wenn die Durchschnittstemperaturen konstant bleiben. Das ist so, weil die Erde ein lebendiger Körper und keine Maschine ist, und weil wir ihre Gewebe und Organe zerstört haben.
Die anthropogene Klima-Störung begann lange vor der industriellen Ära, vor allem durch Abholzung und Bodenerosion, die in den letzten Jahrhunderten ein industrielles Ausmaß angenommen haben. Treibhausgase stellen eine ganz neue Herausforderung dar, der eine schwer angeschlagene Biosphäre schlecht gewachsen ist.
Lassen Sie mich meine These pointiert formulieren:
Wenn das Standard-Narrativ von der AGE wahr ist, dann haben der Schutz und die Wiederherstellung von Boden, Wasser und Ökosystemen allerhöchste Priorität.
Wenn das Standard-Narrativ von der AGE falsch ist, dann haben der Schutz und die Wiederherstellung von Boden, Wasser und Ökosystemen allerhöchste Priorität.
Diese These möchte ich in diesem Buch begründen und beschreiben, durch welche Veränderungen in der Sichtweise und Mythologie sie umgesetzt werden kann.
Was die aktuelle Klimadebatte betrifft, hege ich tief in mir Sympathien für die Alarmisten. Egal welche Schwachstellen ihre Daten, Argumente und Modelle haben mögen, die Grundangst, die sie antreibt, ist sehr begründet. Wenn die Durchschnittstemperatur nicht mehr steigt oder sogar sinkt, sollten wir nicht weniger besorgt sein. Außerdem haben sie nicht ganz unrecht, wenn sie die Skeptiker „Leugner“ nennen. Aber nicht deren Skeptizismus gegenüber der Wissenschaft macht sie zu Leugnern, sondern ihre Blindheit gegenüber der ökologischen Massenvernichtung, der alarmierenden Schwächung des biologischen Reichtums und der Vitalität der Erde.
Hier ein Vergleich: Sagen wir ich habe eine bakterielle Infektion, die mein Gewebe absterben lässt und mich umbringt, und alle diskutieren darüber, ob ich Fieber habe oder nicht. Die, die sagen: „Ja, er hat ein gefährliches Fieber; wir sollten uns besser um ihn kümmern,“ sind näher an der Wahrheit als die, die sagen: „Er hat kein Fieber, also muss er gesund sein.“ Nun, meine Krankheit mag tatsächlich von einem gefährlichen Fieber begleitet sein, und es mag sinnvoll sein, das Fieber zu senken. Aber solange die fleischfressenden Bakterien nicht gestoppt werden, werde ich trotzdem bald sterben, sei es durch das Fieber oder durch etwas anderes. Für den Planeten sind die fleischfressenden Bakterien das globale Finanzsystem, und dahinter steht die Geschichte von der Separation. Entwicklung und Ressourcenextraktion verschlingen die Welt.
Falls Sie eine Klimaskeptikerin sind, möchte ich, dass Sie Schluss machen mit dem Verleugnen. Sie müssen nicht gleich zur Klimawissenschaft überwechseln; aber verschließen Sie Ihre Augen nicht vor der Zerstörung so vieler kostbarer Orte. Verschließen sie ihre Augen nicht vor dem Tagebau, vor Ölpfützen und Giftmülldeponien, vor der Zerstörung von Lebensräumen, der Ausrottung von Arten und der Verarmung des Lebens auf Erden. Fühlen Sie die Agonie unseres Planeten, lassen Sie diese auf sich wirken, und dann tun Sie etwas dagegen.
Die Zahl der Monarchfalter ist in meiner Lebenszeit um 90 Prozent zurückgegangen. Die Biomasse der Fische hat sich halbiert. Die Wüsten haben sich in einem nie dagewesenen Ausmaß ausgebreitet. Die Korallenriffe sind um die Hälfte zurückgegangen. Die Mangroven in Asien sind um 80 Prozent zurückgegangen. Der Regenwald von Borneo ist so gut wie verschwunden. Die Regenwälder bedecken weltweit weniger als die Hälfte der früheren Flächen. Tausende Arten sind ausgerottet. Das alles ist real, und es ist nur ein Bruchteil der gesamten Zerstörung, die auf dem Planeten vor sich geht. Seien Sie besorgt! Wir können es uns nicht mehr leisten viele Organe und Gewebe des Planeten zu verlieren, bevor die Katastrophe passiert.
Falls Sie ein Klima-Pessimist sind, teile ich Ihre Besorgnis und bitte Sie, Ihren Fokus zu verschieben. Nicht nur die Gefährdung des Überlebens der Menschheit ist Grund zur Sorge; die Vision von einer Menschheit, die auf einem toten, kahlen Planeten überlebt, ist für mich noch furchterregender als eine Zukunft ohne Menschen. Wie könnten Sie wollen, dass Sie als einziger eine Massenvernichtung überleben, in der alle Ihre Freunde und Ihre ganze Familie zugrunde gegangen sind? „Was wird mit uns geschehen?“ Diese Frage greift, wie ich argumentieren werde, zu kurz. Die Besorgnis, die von ihr ausgeht, ist viel zu eng gefasst und am Ende sogar kontraproduktiv.
Auf welcher Seite Sie auch stehen, ich würde mir wünschen, dass Sie andere Alarmglocken hören. Es geht um das Leben auf diesem Planeten, das stirbt. Ist Ihnen auch aufgefallen, dass nach einer langen Autofahrt viel weniger Insekten auf der Windschutzscheibe kleben als früher? Als ich klein war, war die Windschutzscheibe voll mit Insekten. Ich fragte mich, ob das eine falsche Erinnerung ist, bis ich eine Studie las, die über siebenundzwanzig Jahre hinweg eine 78- bis 82-prozentige Abnahme der Biomasse fliegender Insekten in geschützten Naturreservaten feststellte.[1] Das ist eine solide, ausführliche und genaue Studie, die mit vielen ähnlichen Ergebnissen weltweit in Einklang steht.[2]
Hätte ich das Sagen, wäre diese Studie eine fette Schlagzeile auf der ersten Seite. Die Insekten waren die ersten Tiere, die das Land bewohnten. Sie kamen etwa zur gleichen Zeit wie die Pflanzen an Land. Sie sind lebensnotwendig für jede Nahrungskette auf der Erde. Die Insekten sind eng mit dem Leben verwoben. Weniger Insekten heißt weniger Leben. Das heißt, dass der Planet an Lebenskraft verliert. Lassen Sie mich das noch einmal anders formulieren: Das heißt, dass der Planet stirbt.
Keiner kennt die Ursache, aber die Autoren stellen fest, dass es wahrscheinlich nicht die höheren Temperaturen sind, weil diese während der Dauer der Studie mit mehr Insektenbiomasse korrelierten, nicht mit weniger. Sie nennen Chemikalien und den Verlust von Lebensraum auf nahegelegenen landwirtschaftlichen Flächen als mögliche Ursachen. Mir scheint das plausibel, und ich vermute, dass eine tiefere Ursache dahinter lauert: Wir behandeln die Erde nicht als etwas Lebendiges und Heiliges.[3] Wir haben nicht im Dienst des Lebens gehandelt. Wir haben im Gegenteil alles andere Leben wie Knechte der Menschheit behandelt. Das ist es, was sich ändern möchte. Die ökologische Krise ist für die dominante Zivilisation ein erstes Heilmittel, damit der Wandel in Gang kommt. Die Krise wird noch schlimmer werden, bis wir diese bittere Pille auch wirklich geschluckt haben werden.
Anmerkungen
[1]Hallmann et al. (2017).
[2]Eine Einführung in anderer Forschungen zur Dokumentation des Insektensterbens finden Sie bei Hunziker (2018).
[3]Mit „wir“ meine ich hier die dominante Zivilisation. In dem Ausmaß, in dem Sie daran Teil haben, bezieht sich das „wir“ auch auf Sie, selbst wenn Sie mit allen Fasern Ihres Herzens gegen dir vorherrschenden Institutionen und Sichtweisen sind.