Klima – eine neue Perspektive
Kapitel
Kapitel 5: Kohlenstoff und Ökosysteme
Kohlenstoff, der Boden und das Leben
Ich habe in diesem Buch absichtlich das Kapitel über das Wasser vor das über den Kohlenstoff gestellt, um darauf hinzuweisen, dass wir bei unseren Überlegungen zu diesen beiden für das Leben so grundlegenden Substanzen möglicherweise unsere Prioritäten ändern müssen. Aber auch mit einem Blick auf den Kohlenstoff können wir viel über die Gesundheit des Gaia-Organismus erfahren. Am Ende führt dies zur selben Erkenntnis wie beim Wasser: dass wir unsere Aufmerksamkeit auf Ökosysteme, Boden und Biodiversität verlagern müssen.
Meist dreht sich die Diskussion über Treibhausgase um Emissionen aus fossilen Brennstoffen darum, wie man diese durch alternative Energiequellen ersetzen könnte und ob dies schnell genug möglich sein wird. Dieses Thema ist ausgiebigst beackert worden. Ich sehe davon ab, meine Meinung hierzu kundzutun, denn ich möchte keine weitere Aufmerksamkeit auf etwas lenken, das ich für eine irrige Diskussion halte. Unabhängig davon, ob wir die Emissionen reduzieren, wird sich die Klima-Störung weiter verschlimmern, solange sich nicht die Ökosysteme auf allen Ebenen wieder regenerieren können.
Wenn wir uns Ökosysteme unter dem Blickwinkel von Kohlenstoff ansehen wollen, müssen wir ein Element des Kohlenstoffhaushalts betrachten, das weit weniger gesichert ist, als die Emissionen aus fossilen Brennstoffen: die Freisetzung von Kohlenstoff durch „geänderte Landnutzung“ (ein Euphemismus für die Zerstörung von Ökosystemen) sowie die ebenfalls ungewisse Fähigkeit intakter Ökosysteme, Kohlenstoff zu absorbieren und zu binden.
Manche Forscher glauben, dass wir beides bei weitem unterschätzt haben[1], und in der Literatur werden die Schätzungen über das Ausmaß der CO2-Ströme auf der Erde ständig nach oben korrigiert. So kommt eine neuere Studie zu dem Schluss, dass der Waldverlust von 2,27 Millionen km² in den Tropen seit 1950 für zusätzliche 50 Gigatonnen Kohlenstoff in der Atmosphäre gesorgt hat; und die Emissionen beschleunigen sich.[2] Dieser Studie zufolge trägt die Abholzung in den Tropen derzeit pro Jahr 2,3 Gigatonnen an Emissionen bei. Das sind mehr als 20% der anthropogenen Emissionen, weitaus mehr als bisher geschätzt.[3] Ähnliche Trends beobachten wir auch in anderen Lebensräumen.
Es ist gut möglich, dass die Auswirkungen von Entwaldung, Bodenverlust, Artenverlust, Austrocknung von Sümpfen, Mooren und Mangroven sowie anderen Landnutzungsänderungen so schwerwiegend sind, dass man – selbst aus der Kohlenstoff- und nicht aus der Wasserperspektive – vernünftigerweise behaupten dürfte, der Klimawandel werde von diesen Aktivitäten mindestens ebenso befeuert wie vom Verbrennen fossiler Energieträger. Diese Abgase verstärken nur das ökologische Ungleichgewicht, das von der Umweltzerstörung sowieso angerichtet wird.
Ich habe unlängst auf einem Klimawandel-skeptischen Blog die Behauptung gelesen, dass das atmosphärische Kohlendioxid zwischen 1750 und 1875 viel schneller als alle menschlichen Emissionen zusammengenommen angestiegen und von Letzteren erst 1960 überholt worden sei.[4] Der Autor behauptet, das Kohlendioxid sei aufgrund steigender Temperaturen gestiegen (statt diese zu verursachen); ein typisches Skeptiker-Argument. Es gibt allerdings eine weitere Erklärung, nämlich dass im fraglichen Zeitraum eine massive Entwaldung stattgefunden hat und in Europa und Nordamerika große Flächen in Ackerland umgewandelt wurden. Das könnte die Emissionen aus fossilen Brennstoffen in den Schatten gestellt haben.
Im vorigen Kapitel beschrieb ich, wie Entwaldung, konventionelle Landwirtschaft und andere Formen des Landmissbrauchs Kohlenstoff aus der freigelegten und erodierten Erde in die Atmosphäre entlassen. Nun folgen ein paar Beispiele von der anderen Seite der Gleichung: der Fähigkeit intakter Ökosysteme, Kohlenstoff zu absorbieren und unterirdisch zu speichern.
Feuchtgebiete
Mit welcher traurigen Nachricht soll ich beginnen? Dass der Planet im Laufe der letzten einhundert Jahre die Hälfte seiner Mangrovensümpfe und ungefähr 70% aller seiner Feuchtgebiete verloren hat?[5] Dass Seegrasflächen pro Jahr um 7% schrumpfen?[6] Dass in den Vereinigten Staaten seit ihrer Gründung 50% der Feuchtgebiete verschwunden sind und sich der Verlust im 21. Jahrhundert gegenüber dem 20. nochmals beschleunigt hat?[7] Die meisten Verluste entstehen durch Ausweitung von Landwirtschaftsflächen, städtisches Wachstum und Küstenbebauung. Gleichzeitig verschlechtert sich aufgrund von Umweltverschmutzung und Eindringen von Salzwasser der Zustand unberührter Feuchtgebiete. Der steigende Meeresspiegel wäre normalerweise kein Problem, wenn sich die küstennahen Feuchtgebiete verlagern könnten, aber heute verhindern Deiche ihre Ausbreitung, während Dämme die für ihr Wachstum nötigen Sedimente zurückhalten.
Im Hinblick auf die Artenvielfalt ist die Zerstörung von Feuchtgebieten eine Katastrophe; aber was hat das mit dem Kohlenstoff zu tun? Feuchtgebiete speichern mehr Kohlenstoff im Boden als jedes andere Ökosystem, Seegras beispielsweise bis zu 20 Tonnen pro Hektar und Jahr.[8] Zusammen sind einigen Schätzungen zufolge Feuchtgebiete zusammen mit Mangroven und Salzmarschen für weltweit die Hälfte der biologischen Bindung von CO2 verantwortlich.[9] Torfmoore gehören ebenfalls zu den großen CO2-Senken; ihr Boden enthält so viel Kohlenstoff wie alle lebendige Biomasse auf Erden – Kohlenstoff, der in die Atmosphäre austreten kann, wenn man Torfmoore trockenlegt, entwaldet oder abbrennt.
Die Speicherkapazität dieser und anderer Ökosysteme wird normalerweise bestimmt, indem man die Zunahme von CO2 im Boden misst. Dieser analytische Zugang, bei dem Variablen isoliert werden, gehört zum Standardrepertoire der Wissenschaft, aber bei dieser Herangehensweise bleiben synergetische Verbindungen im System unsichtbar. Mangroven halten beispielsweise Sedimente zurück, die ansonsten die weiter draußen liegenden Korallenriffe stören und sie womöglich für Korallenbleiche anfälliger machen. Seegras puffert den Säuregehalt des umgebenden Wassers und ermöglicht dadurch schnelleres Wachstum von Schalentieren. Sowohl Schalentiere als auch Korallenriffe binden und speichern selbst Kohlenstoff. Die Kohlenstoff-Milchmädchenrechnung – man teile die Erde in Ökosysteme und Regionen und zähle dann den jeweils gebundenen Kohlenstoff zusammen – unterschätzt systematisch den Wert der einzelnen Lebensräume.
Grasland
Intaktes Grasland, das von Herden großer Pflanzenfresser bewohnt wird, hat eine ungeheure Fähigkeit, Kohlenstoff zu binden und im Boden einzulagern. Die Tonnagen an Kohlenstoff pro Hektar kann man nicht festmachen, weil Schätzungen auf Basis von Messungen und Modellen je nach den geologischen Bedingungen, der Regenmenge, den Grasarten und ob gemäht wird oder nicht, und je nachdem, ob und wie viele wilde oder domestizierte Herdentiere darauf leben, um mehrere Größenordnungen voneinander abweichen. Der gebundene Kohlenstoff kann außerdem unterschiedlich lang im Boden verbleiben. Einiges kohlenstoffhaltiges organisches Material in der Erde zerfällt innerhalb eines Jahres, aber vieles davon bleibt für Jahrzehnte im Boden, und manches gerät, wenn überhaupt, jahrtausendelang nicht in die Atmosphäre zurück. Die drei Meter dicke Humusschicht im Mittleren Westen der USA, von der einiges bereits erodiert ist, zeugt für die Fähigkeit von Grasland, Kohlenstoff im Boden zu speichern.
Am meisten Kohlenstoff speichern einheimische Grassorten, die von großen Wanderherden von Pflanzenfressern genutzt werden. Leider wurden 97% der ursprünglichen Hochgrasprärien Nordamerikas in Ackerflächen, Vororte und künstliche Weiden umgewandelt. Ihre Fähigkeit zur Kohlenstoffregulierung, war mit 70 Millionen Hektar Fläche enorm. Den (wenn auch dürftigen) Daten zufolge, die aus dem ganzheitlichen Weidemanagement stammen, einer Praxis, mit der man das natürliche Verhalten grasender Pflanzenfresser zu imitieren versucht[10], ist vorstellbar, dass Hochgrasprärien zwischen acht und zwanzig Tonnen Kohlenstoff pro Hektar und Jahr sequestrieren können. Heute jedoch emittiert der größte Teil dieses Landes CO2, weil es für die industrielle Landwirtschaft genutzt wird.[11] Anbau unter Einsatz von Pflügen setzt den Boden Luft, Wasser und Wind aus und ermöglicht die Oxidation von organischem Material (also die Umwandlung von Kohlenstoff zu Kohlendioxid). Ähnliches ist in den Steppen Asiens, den afrikanischen Steppen, den Pampas Südamerikas und anderswo geschehen. Laut Welternährungsorganisation ist so bis zu ein Drittel der globalen Graslandschaften bereits verloren gegangen.[12] Land, das eine CO2-Senke sein könnte, wird nun zur Emissionsquelle.
Wälder
Von allen Ökosystemen sind es die Wälder, welche die Öffentlichkeit am ehesten als wesentlich für den Erhalt eines gesunden Klimas anerkennt. Derzeit absorbieren sie 40% der globalen anthropogenen Emissionen; gleichzeitig emittieren sie im Zuge der Entwaldung wieder mindestens ein Drittel davon.[13] Je mehr CO2 sich in der Luft befindet, desto mehr absorbieren sie – bis sie ihre Grenzen erreichen. Es sieht aus, als ob sie wacker ihr Bestes gäben, die Atmosphäre im Gleichgewicht zu halten. Dabei sind wir Menschen ihnen nicht behilflich. Einigen Schätzungen zufolge ist die Zahl der Bäume seit den Anfängen der Zivilisation um mehr als die Hälfte gesunken.[14] Jedes Jahr verschwinden weiterhin hunderttausende Quadratkilometer Wald. Der Schwund ist womöglich noch größer als allgemein gedacht, weil die Statistiken kleinere Schäden in bestehenden Wäldern nicht verzeichnen, die nach Meinung einiger Forscher zwei Drittel der verlorenen Biomasse in tropischen Wäldern ausmachen.[15] So wie bei Feuchtgebieten und Graslandschaften macht die Zerstörung von Wäldern auch aus einer Kohlenstoff absorbierenden Landfläche eine Kohlenstoff emittierende.
Die Walddegradation (Schädigung von weiter bestehendem Wald) wird seltener als Problem erkannt als Kahlschlag. Walddegradation entsteht vorwiegend durch selektive Baumfällung, Insektenbefall und Waldbrände, drei Faktoren, die eng zusammenhängen. Im Gegensatz zur Behauptung der Holzindustrie macht Holzeinschlag die Wälder anfälliger für verheerende Feuer.[16] Wie im vorigen Kapitel beschrieben sorgt er für trockenere Bedingungen, weil die Transpiration reduziert und das Ablaufen von Wasser sowie Bodenerosion erhöht wird. Durch Holzfällung stört man außerdem das ökologische Gleichgewicht, das die Insekten in Schach hält. Durch Holzfällung wird ein Wald homogener gemacht, wodurch er anfälliger für Insekten- und Krankheitsbefall wird, und die Baumstümpfe dienen beidem als Brutstätte. Weil gleichzeitig aufrecht stehendes Totholz und ausgehöhlte ältere Bäume entfernt werden, die ein wichtiges Habitat darstellen, erhöht sich das Risiko von Insektenplagen und Krankheitsausbrüchen. Zufahrtswege für schweres Gerät pressen die Erde zusammen und fragmentieren Ökosysteme, was zu weiteren Einbußen der Widerstandsfähigkeit führt.[17] Keines dieser Phänomene wird von CO2-Messungen und Klimamodellen präzise einbezogen.
Wenn wir außerdem begreifen, dass Wälder selbst Lebewesen sind (und nicht nur Ansammlungen von Lebewesen), werden weitere Formen von Schäden sichtbar. Pilz-Myzelien, die Netzwerke von phänomenaler Komplexität bilden, verbinden die Bäume und anderen Waldpflanzen miteinander und bilden Kommunikationswege, über die Bäume Informationen austauschen, sich gegenseitig vor Schädlingen warnen und manchmal sogar Ressourcen teilen. Straßen zerreißen dieses lebende Netz in kleinere voneinander getrennte Teile. Konventionelle Waldbewirtschaftung hindert Bäume außerdem daran, ein hohes Alter zu erreichen, dann umzufallen und über Jahrzehnte oder Jahrhunderte langsam zu verrotten. Was, wenn die Baumältesten, die Großmütter unter den Bäumen, Weisheit besitzen (oder chemisch kodierte Informationen, wenn Ihnen das lieber ist), die der Wald braucht, um ungewöhnliche Umstände zu überstehen, wie sie einmal im Jahrhundert vorkommen? Was, wenn die verrottenden Bäume langsam wachsende Pilze beherbergen, die eine wichtige Rolle beim Erhalt des ökologischen Gleichgewichts spielen? All diese Phänomene sind viel schwerer zu quantifizieren als das Gewicht von Biomasse.
In seinem 2016 erschienenen Buch Das geheime Leben der Bäume legt der Förster Peter Wohlleben starke Argumente für die Empfindungsfähigkeit des Waldes und Bäume als soziale Wesen vor. Sein Team konnte mit Hilfe von mit Radionukliden präpariertem Zucker feststellen, dass gesunde Bäume kranke versorgen und dass ältere Bäume ihre Ableger ernähren. In Einzelfällen hält eine Baumgemeinschaft sogar die Stümpfe gefällter Artgenossen jahrhundertelang am Leben. Sie kommunizieren über die Luft mittels chemischer Substanzen, aber auch über Myzel-Netzwerke. Sie lernen außerdem sowohl als Individuen wie auch als Gemeinschaft aus Erfahrungen mit Dürren und sonstigen Bedrohungen.[18] Einige Bäume gehen Freundschaften mit anderen Bäumen ein, mit denen sie eher kooperieren, als um Sonnenlicht zu konkurrieren. Bäume arbeiten auch gemeinsam an der Schaffung eines Mikroklimas; eine von Wohlleben erwähnte Studie besagt, dass natürlich gewachsene Wälder die Temperatur um 3°C kühler halten können als ein kultivierter Forst.
Vielleicht lässt sich die ökologische Krise, die wir durch die Linse von Klimawandel und der Begrenztheit der Erde betrachten, erst lösen, wenn sie uns dazu bewegen kann, die Lebendigkeit der Wälder und aller anderen Dinge zu erkennen. Erst dann werden wir das notwendige Wissen und die Fähigkeit besitzen, uns in angemessener Weise um die Gewebe und Organe des Erd-Körpers im Sinn der Gaia-Theorie zu kümmern. Aber die Lebendigkeit wird übersehen, wenn ein Wald oder sonst ein Wesen auf einen Datensatz reduziert wird.
Das Lebewesen, das wir Wald nennen, enthält nicht nur Bäume, sondern alle Wesen, die dort leben. Wie kann man beispielsweise den Beitrag einer Wolfspopulation beziffern? Raubtiere an der Spitze der Nahrungspyramide (Spitzenprädatoren) sind von zentraler Wichtigkeit für die Widerstandsfähigkeit von Ökosystemen, selbst wenn sie keinen direkten Beitrag zur CO2-Speicherung leisten. Ihr Beitrag ist indirekter, systemischer und diffuser Natur. In den Wäldern Nordamerikas hat die Ausrottung von Wölfen und Pumas zum Anwachsen der Wildpopulationen geführt, die Unterholz und Jungpflanzen auffressen, wodurch der Boden entblößt, das Abfließen des Wassers verstärkt, Erosion gefördert und Wassereinlagerung reduziert wird. Das trägt zu verminderten Regenmengen während der trockenen Jahreszeit und Überflutungen während der feuchten Jahreszeit bei. Veränderung von Bodenbewuchs und Unterholz wirkt sich auch auf die Insekten-, Pilz- und Bakteriengemeinschaften aus. Bäume werden anfälliger für Insekten- und Krankheitsbefall und daraufhin auch für Feuer. Zusammen mit Abholzung, saurem Regen, erhöhten Ozonwerten und sich wandelnden Klimamustern kommt es zu einer wechselseitigen Verstärkung dieser Effekte. Die Ursachen sind an jedem Ort anders, aber weltweit sind die Wälder im Rückgang.
Ich könnte noch aufzählen, wie viel Kohlendioxid verschiedene Waldtypen – tropische, gemäßigte und nördliche Wälder, Primärwald mit geschlossenem Blätterdach oder Sekundärwald – über und unter der Erde binden und speichern können, aber ich bitte Sie: Sind diese Zahlen wirklich nötig, damit wir erkennen, dass wir unsere kostbaren Wälder bewahren und wertschätzen müssen? Selbst wenn wir auf einem entwaldeten Planeten leben könnten – würden wir das wollen? Wann hört das Baumtöten auf? Ich mag keine weiteren Zahlen anführen, weil ich fürchte damit zu unterstellen, wir müssten uns zuvorderst mit eben diesen befassen. Hilft es, immer noch mehr quantitative Gründe zu sammeln um zu belegen, warum wir etwas tun sollten, von dem wir längst wissen, dass wir es tun sollten? Ich glaube nicht.
Wenn wir jetzt noch immer nicht begriffen haben, dass die Wälder kostbar und heilig sind, werden uns mehr Zahlen auch nicht weiterhelfen.
Ein Wald ist ein unfassbar komplexes Lebewesen. Wenn wir es auf einen kleinen Datensatz generischer Beziehungen und numerischer Größen reduzieren, bereiten wir den Boden für Gewalt: Der gedanklichen Verkleinerung des Waldes auf seine messbaren Größen und Leistungen folgt seine Zerkleinerung auf materieller Ebene durch Kettensägen und Bulldozer. Darum drücke ich den Wert des Waldes so ungern in Kohlenstoffeinheiten aus; das unterschlägt seine nicht auf Kohlenstoff bezogenen Ökosystemleistungen und seinen Eigenwert und führt zu einer Debatte über Zahlen.
Einen Wald auf Zahlen zur Biomasse und CO2-Bindungskapazität zu reduzieren unterscheidet sich kaum davon, ihn auf Laufmeter und Euros zu reduzieren; es ist dieselbe Denkweise. Ich weigere mich, so weiterzumachen.
Anmerkungen
[1]Siehe z.B. Arneth et al. (2017).
[2]Rosa et al. (2016).
[3]Die Schätzungen des in der Biomasse des Regenwaldes steckenden Kohlenstoffs sind nach oben gegangen. Ein 2012 in Nature Climate Change erschienener Bericht (Baccini et al., 2012) beziffert ihn mit 228,7 Gigatonnen und damit ganze 21% höher als das „Global Forest Resources Assessment“ (Einschätzung der globalen Waldbestände) der Welternährungsorganisation von 2010. Trotzdem liegt der Bericht in Nature Climate Change mit seiner Einschätzung der jährlichen Emissionen aus der Abholzung in den Tropen bei weniger als der Hälfte der Zahlen aus Rosa et al. (2016) – wahrscheinlich, weil er die unter der Erdoberfläche gespeicherte Biomasse und Ausgasungen aus Altlasten nicht berücksichtigt.
[4]Middleton (2012).
[5]Davidson (2014).
[6]Waycott et al. (2009).
[7]Fears (2013).
[8]Duarte et al. (2013). Die Zahl leitet sich aus Messungen und Modellen wiederhergestellter Seegrasflächen über einen Zeitraum von 50 Jahren ab. Bei natürlichen Flächen könnte sie sogar noch höher liegen. Es war zu beobachten, dass sich im Lauf der Zeit die Kohlenstoff-Aufnahmekapazität exponentiell (innerhalb gewisser Grenzen) steigert, was darauf schließen lässt, dass viele ältere Studien, die auf kurzfristigen Projekten zur Wiederbepflanzung basieren, die Fähigkeit von Seegras zur Kohlenstoffspeicherung grob unterschätzen. Wenn weltweit 20-60 Millionen Hektar Seegras 20 Tonnen pro Hektar speichern, nehmen sie eine Gigatonne Kohlendioxid jedes Jahr auf. Das ist ein Zehntel der von Menschen emittierten Menge.
[9]Nellemann et al. (2009). Die Zahlen in diesem Bericht liegen allerdings niedriger als bei neueren Einschätzungen.
[10]Anm.d.Ü.: Diese Praxis ist in Europa noch wenig bekannt. Einen guten Überblick verschafft der Artikel „Ganzheitliches Weidemanagement“ von Christopher Becker (2016). Siehe auch die englischen Wikipedia-Einträge zu „Managed intensive rotational grazing“ und: „Holistic management (agriculture)“
[11]Dazu und zur regenerativen Landwirtschaft mehr im Kapitel 8. Die meisten Schätzungen liegen eine Größenordnung unter diesen Zahlen, aber die amerikanischen Hochgrasprärien machen auch nur 2% der globalen Graslandflächen aus.
[12]Food and Agriculture Organization of the United Nations (FAO, 2009).
[13]Pan et al. (2011).
[14]Crowther et al. (2015).
[15]Baccini et al. (2017).
[16]Wuerthner (2016).
[17]z.B. Sierra Forest Legacy (2012).
[18]Für eine Einführung in die Arbeit Wohllebens siehe Interview mit Richard Schiffman (2015).
Anm. d.Ü.: Siehe auf deutsch ein Gespräch mit Michael Krons (2015).