Klima – eine neue Perspektive
Kapitel
Kapitel 6: Ein Pakt mit dem Teufel
Die Rechte der Natur
Liebe ist die Revolution. Es geht nicht um intelligentere Bewertung und Nutzung der Natur; es geht um aufrichtigen Respekt für die Natur, und das kann nur erreicht werden, wenn man sie zur Gänze als Wesenheit anerkennt und sie heiligt. Wo ist das Heilige, wenn wir sie auf einen endlichen Wert reduzieren? Wir brauchen einen besseren, einen echteren Grund, wenn wir etwas für die Welt tun wollen. Wir brauchen eine Motivationsquelle, die sich nicht einmal begründen lässt.
Während ich dieses Buch schrieb, war ich versucht – und es ist mir geraten worden – zu vermeiden, Dinge wie „Die Erde ist lebendig und empfindungsfähig“ zu sagen. Solche Äußerungen disqualifizieren mich in den Augen von Entscheidungsträgern, die rational formulierte Argumente benötigen. Können wir aber je rational einen Weg bis zur Liebe durchargumentieren? Das Wort rational ist in diesem Zusammenhang normalerweise ein anderes Wort für utilitaristisch. Seit wann ist Liebe rational? In Wahrheit lieben wir die Welt um ihrer selbst willen, nicht für das, was sie liefert.
Ich vermute, dass sich selbst der nüchternste Umweltschützer, der am lautesten die Leute verspottet, die die Erde als lebendig betrachten, im Geheimen nach dem Objekt seiner Verachtung sehnt. Tief innen glaubt auch er daran, dass der Planet und alles auf ihm lebendig und heilig ist. Er fürchtet sich, dieses Wissen anzurühren, obwohl es ihn so danach verlangt.
Diese Person bin auch ich. Die Vorstellung einer lebendigen, empfindungsfähigen Erde zieht mich an und stößt mich gleichzeitig ab, was die polarisierten Meinungen auf Konferenzen spiegelt, bei denen sich das technische und das spirituelle Lager gegenüberstehen. Anschuldigungen wie „naiv!“, „schwachsinnig!“ und „unwissenschaftlich!“ geistern durch meinen eigenen Kopf und sind Ausdruck einer inneren Verletzung. Vielleicht kann ich diesen Schmerz vorübergehend abmildern, wenn ich mich mit den Kritikern verbünde, die Kritik nach außen richte und andere beschuldige, sie missachteten die Wissenschaft und ließen sich zu Gefühlsduseleien hinreißen. Es wäre jedoch ehrlicher, meine Irrationalität zu akzeptieren. Und es wäre auch für andere inspirierender, wenn ich in ihnen dieselbe Biophilie wecken könnte, die ich auch in mir trage.
Die Vorstellung, dass unser Planet lebt, und darüber hinaus, dass auch jeder Berg, jeder Fluss, jeder See und jeder Wald ein lebendiges, ja fühlendes, zielstrebiges, heiliges Wesen ist, ist keine rührselige emotionale Ablenkung von echten Umweltproblemen. Im Gegenteil. Sie veranlasst uns, mehr zu fühlen, uns mehr zu kümmern und mehr zu tun. Wir können uns nicht länger vor unserem Schmerz und unserer Liebe hinter einer Ideologie verstecken, die aus der Welt einfach einen Haufen Zeug macht, den wir für unsere Zwecke instrumentalisieren.
Da das instrumentelle Nutzendenken für die Weltzerstörungsmaschine von so großer Bedeutung ist, muss die Umweltbewegung darauf achten, diese Geschichte mit ihren Argumenten nicht zu stärken. Sie muss von einer anderen Geschichte ausgehen, sie vorleben und verbreiten: einer Geschichte von Fürsorge, Schönheit und Liebe. Das heißt nicht, dass wir die Folgen der Umweltzerstörung für den Menschen ignorieren sollten – denn auch wir sind schließlich Gaias Kinder -, aber wir sollten solche Argumente nicht in den Vordergrund rücken. Bisher war dies die (fast alleinige) Sprache „ernsthafter“ Richtliniendiskussionen zum Klima und anderen Umweltthemen. Es hat nicht funktioniert. Vielleicht sollten wir es noch einmal mit der Sprache der Liebe versuchen.
Wenn wir der nicht-menschlichen materiellen Welt die Eigenschaft eines liebenswerten Wesens absprechen, machen wir es unmöglich, die Natur und die materielle Welt zu lieben. Wenn die Welt im Grunde aus einem Haufen gleichförmiger zweckfreier Partikel besteht, die von unpersönlichen blindwütigen Kräften gesteuert werden, was gibt es da zu lieben? Ausdrücke wie „natürliche Ressourcen“ und sogar „die Umwelt“ fördern solcherlei weltanschauliche Abschottung. Teilnahmsvolle Liebe entsteht durch die Erkenntnis, dass Sie ein Jemand sind, genau wie ich. Ein Kind schaut die Sonne an und weiß, diese schaut zurück. Doch dann werden wir erwachsen und wissen es besser; wir geben solche Vorstellungen als kindlich-anthropomorphe Projektionen auf. Der Wissenschaftler macht dasselbe, wenn er oder sie behauptet, nur Menschen besäßen in vollem Umfang Bewusstsein, Handlungsfähigkeit, Absicht, Verlangen und eine Seinserfahrung; dass Tiere diese Eigenschaften vielleicht besitzen, aber nur in geringerem Umfang – je „niedriger“ das Tier (d.h. je unähnlicher es uns ist), desto weniger; dass Pflanzen nur rudimentäre Elemente davon in sich tragen, wenn überhaupt; und dass in Flüssen, Bergen, Erde, Wasser oder Steinen keine persönlichen Eigenschaften zu finden sind. Intuitiv aber wissen wir es besser, so wie das Kind oder ältere Kulturen. Wir wissen, dass die gesamte uns umgebende Welt uneingeschränkt ein Jemand ist, und auch jeder Teil von ihr.
Geld ist zwar ein ungenügendes Mittel, den Wert von etwas wiederzugeben, das keinen Preis hat, aber es gib ein weiteres Instrument, auf das sich Menschen geeinigt haben, das wir hier anwenden können: das Gesetz. Die wachsende Rights of Nature Bewegung für Rechte der Natur versucht zu erreichen, dass nicht-menschlichen Wesen ein Rechtsstatus zugestanden wird. Bisher haben Bolivien, Ecuador und Neuseeland diese Rechte in Gesetzen festgeschrieben. Polly Higgins, Anwältin für die Rechte der Erde, hat sich dafür eingesetzt, diese Rechte weltweit anzuwenden, indem Ökozid (Umweltzerstörung) neben Genozid, Kriegsverbrechen, Angriffskriegen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf die Liste der Verbrechen gegen den Frieden gesetzt wird und damit unter die Rechtsprechung des Internationalen Strafgerichtshofs gelangt. Interbeing würde dadurch zu etwas erhoben, das mehr als eine persönliche Philosophie oder religiöse Orientierung ist. Das würde es als Grundprinzip einer anderen Art von Gesellschaft verankern.[1]
Es gab einmal eine Wissenschaft, die das Konzept der Persönlichkeit von Natur lächerlich fand. Obwohl die Wissenschaft sich jetzt verändert (z.B. erwägen immer mehr Biologen ernsthaft, dass es Pflanzenintelligenz geben könnte), würden sich auch heute noch viele fürchten, ihren seriösen Ruf zu gefährden, wenn wir sagten: „Wen interessieren Kosten und Nutzen? Wir schützen den Wald einfach, weil wir ihn lieben. Wir schützen ihn, weil er so schön ist.“
Das heißt nicht, wir sollten nie wieder Bäume fällen. Es soll heißen, dass diese Handlung nie aufgrund einer Ideologie ausgeführt werden sollte, die die Heiligkeit der Bäume und sonstigen Lebens nicht anerkennt. Wenn wir Wälder nach Festmetern oder Holzpreisen bewerten, wenn wir die Meere nach Tonnen an Protein oder Eurowert gefangener Fische bewerten, wenn wir Nationen „Ökonomien“ nennen und Menschen „Konsumenten“, wenn wir Orte als Eisenerz-, Bauxit- oder Goldlagerstätten sehen, wenn wir diese Mineralien nur als Mineralien betrachten, die zufällig abgelagert worden sind und keinen Bezug zum Leben um sie herum haben, wenn wir in einem Wald oder Torfmoor nur deren Sequestrierungspotential sehen, dann fassen wir die Erde als Maschine auf, nicht als Organismus – als tot, nicht als lebendig.
Der Grund, weshalb unser gegenwärtiges Produktionssystem die Welt umbringt, ist, dass es von Anfang an davon ausgeht, die Welt sei tot. Was gibt es da zu lieben?
Anmerkungen
[1]„Rechte der Natur“ ist vielleicht nicht der geeignetste Ausdruck, natürlichen Wesen den Status von juristischen Personen zu erteilen, denn für das Rechtskonzept sind das Individuum und der Staat die Grundlage. Für indigene und andere auf Gemeinschaft basierende Kulturen sind „Rechte“ kein stimmiges Konzept. Wir sollten vorsichtig damit sein, diesen Begriff auf die nicht-menschliche Welt auszudehnen. Eine Alternative könnte „Verantwortlichkeit gegenüber der Natur“ sein. Wichtig dabei ist es, irgendwie die Existenz nicht-menschlicher Personen in den Rahmen aus Übereinkünften und Narrativen einzuführen, den wir Gesetz nennen.