Klima – eine neue Perspektive
Kapitel
Kapitel 6: Ein Pakt mit dem Teufel
Warum sollte ich meinen Sohn lieben?
Cam Webb, ein Regenwald-Ökologe erzählte mir:
„Die üppigen Tieflandregenwälder Borneos mit ihren Riesenbäumen (die höchsten Regenwaldbäume der Welt gibt es auf Borneo) und den vielen Arten großer Nashornvögel und den Gibbons mit ihrem schönen Gesang und den Orang-Utans sind fast verschwunden. Nachdem ich 1989 das erste Mal als unerfahrener Jüngling dort angekommen war, habe ich ein ganzes Jahr lang im Dschungel gelebt. In der Zeit sind wir oft auf einen Berggipfel geklettert und haben uns von oben angesehen, was wie tausende von Kilometern lückenlosen Regenwaldes aussah. Wenn man heute dort steht, sieht man, dass der Park eine Insel in einem Meer von Ölpalmen ist.“
Als ich Cam traf, war er voller Schmerz:
„Die Regenwälder, die ich mein ganzes Leben lang studiert habe, sind fort“,
sagte er. Ist er traurig, weil er indirekt eine Treibhausgasberechnung durchführt, nach der die Entwaldung Borneos den katastrophalen Klimawandel um X Prozent wahrscheinlicher macht? Natürlich nicht. Er liebt diese Regenwälder um ihrer selbst willen, nicht wegen ihrer Nützlichkeit.
Selbst wenn wir die Kohlenstoffrechnung über die Verbrennung von fossilen Treibstoffen hinaus erweitern und den Beitrag von Fischen, Gras und Bäumen zur CO2-Speicherung einbeziehrn, schätzen wir diese dann nur wegen der von ihnen produzierten Zahlen wert, nicht um ihrer selbst willen. Ob man etwas schätzt, weil es Profit einbringt oder weil es CO2 kompensiert – instrumentalisiert und verdinglicht wird es gleichermaßen. Im nächsten Schritt wird man es unweigerlich ausbeuten und schädigen. Egal ob man es der Natur oder Menschen antut, bleibt das Ergebnis letztendlich grässlich, selbst wenn die ursprüngliche Absicht eine gut gemeinte war.
Ich bin Vater von vier Jungs, darunter ein Vierjähriger. Stellen Sie sich vor, ich sagte zu Ihnen: „Endlich sind meine Jungs erwachsen; nur einer ist noch hier. Was für eine Geld- und Zeitverschwendung, ihn zu ernähren. Ich sehe keinen guten Grund, warum ich mich um ihn kümmern sollte. Vielleicht schmeiße ich ihn raus, was meinen Sie?“
Stellen Sie sich des weiteren vor, Sie antworteten: „Nun, Charles, wenn Sie das tun, wird man Sie wegen Vernachlässigung des Kindes einsperren. Und selbst wenn Sie damit durchkommen, wird er sich im Alter nicht um Sie kümmern. Außerdem – was sollen die Nachbarn sagen?“
„Sie haben recht“, würde ich sagen. „Ich sollte mich vielleicht doch um ihn kümmern.“
Ganz offensichtlich gibt es da bereits ein Problem, wenn ich fragen muss, weshalb ich für mein eigenes Kind sorgen sollte. Egal wie groß die Anreize bzw. die Abschreckungsmaßnahmen sind, um meine Fürsorge zu erzwingen, werde ich nicht so gute Arbeit leisten, als wenn ich aus Liebe handelte. Ich werde gerade genug tun, um negative Konsequenzen zu vermeiden. Ich werde tun, was nötig ist, das Gesetz und meine Nachbarn zufriedenzustellen. Ich werde jeden quantifizierbaren Bedarf decken, wenn man mich genau kontrolliert. Ich werde vielleicht sogar die verlangte Menge an gemeinsamer Zeit mit ihm verbringen. Aber keine noch so lange Liste quantifizierbarer erzieherischer Normen kann jemals Liebe ersetzen. Wird die gemeinsame Zeit oberflächlich oder herzlich verlaufen? Man kann mich nicht durch Geld oder Zwang oder Furcht dazu bringen, mein Kind tatsächlich zu lieben. Und wenn ich ihn nicht tatsächlich liebe, wird es ihm nicht gut gehen.
Was noch schlimmer ist: Wenn Sie das Gesetz, die Nachbarn und meine Zukunft im Alter als Gründe anführen, weshalb ich für meinen Sohn Sorge tragen sollte, deuten Sie damit an, dass es in Ordnung wäre, ihn auf die Straße zu setzen, wenn ich die negativen Konsequenzen vermeiden könnte.
Beachten Sie, dass die drei Gründe, die Sie mir genannt haben, weshalb ich für meinen Sohn sorgen sollte, ein Spiegel der Art und Weise sind, wie wir umweltfreundliches Verhalten zu erzwingen versuchen. „Man wird Sie wegen Vernachlässigung des Kindes einsperren“ – wir bringen Rechtsstrafen zur Anwendung, um von Verschmutzung und anderen Verstößen abzuschrecken. „Er wird sich im Alter nicht um Sie kümmern“ – wir versuchen nachzuweisen, dass „grüne“ Handlungsrichtlinien im Grunde gut für die Bilanzen der Konzerne und die nationale Wirtschaft sind. „Was sollen die Nachbarn sagen?“ – wir appellieren an die Folgen für ihr Image, um Konzerne und Regierungen dazu zu bewegen, die Umwelt zu schützen.
Das Ergebnis solcher Beweggründe ist häufig Regelbefolgung pro-forma, Umgehung, Ausnutzung von Gesetzeslücken und Betrug. Der Konzern, die Regierung oder die Person mag sich an den Wortlaut der Regulierung halten, während sie offensichtlichen Schaden ignorieren, der vom Gesetz nicht verboten wurde und auch nicht auf dem Schirm von Organisationen auftaucht, die darüber wachen. Belohnungen und Drohungen schaffen keine echte Fürsorge.
Ich habe gerade „Verlust an Artenvielfalt“ gegoogelt, und als zweites Ergebnis kam: „Das große Sterben: Der Verlust der Artenvielfalt bedroht Milliarden Menschen“. Im Grunde beantwortet die Seite die Frage, weshalb es uns kümmern sollte, mit „weil unsere Gesundheit und unsere Lebensgrundlage bedroht sind“. Damit gibt es ein Problem: Die Antwort läuft darauf hinaus, dass es Sie nicht kümmern müsste, wenn Ihre Gesundheit und Ihre Lebensgrundlage nicht bedroht wären. Und sind sie bedroht? Ich denke schon, aber jemand, der an die Allmacht von Technologie glaubt, meint vielleicht, dass das nicht so ist. Er wird vielleicht sagen, dass wir für alles einen künstlichen Ersatz schaffen werden, was die Natur uns bietet: synthetische Nahrung, Kuppelstädte mit künstlicher Atmosphäre usw. Selbst wenn man akzeptiert, dass der Verlust an Artenvielfalt unser Wohlergehen gefährdet, gibt es zudem in unserer gelebten Erfahrung wenige Belege hierfür, weil uns das moderne Dasein weitgehend von der Natur isoliert. Was macht Ihre Gesundheit gerade? Wie geht es Ihnen finanziell? Wenn Sie krank und pleite sind, können Sie dann ernsthaft sagen, das Aussterben der Bramble-Cay-Mosaikschwanzratte oder des Rabbs Fransenzehen-Laubfrosches hätte etwas damit zu tun? Wird Ihnen die Rettung des Östlichen Glattschweinswals bei der Zahlung der nächsten Miete helfen?
Wenn wir die Frage stellen „Warum sollte es mich kümmern?“ und eine Antwort liefern, haben wir die Diskussion verloren. Die Sorge um andere Wesen, um das Leben und um die Erde ist uns als Menschen angeboren. Jemandem einen eigennützigen Grund anzubieten, weshalb man sich kümmern sollte, ist beleidigend. Damit unterstellt man ihm: „Ich kenne dich. Wenn nicht dein Wohlstand, deine Gesundheit und dein Ego bedroht wären, würdest du über Leichen gehen, um dich persönlich zu bereichern.“ Unglücklicherweise ist dies das die Geschichte über das Ich, die von Wirtschaft und Genetik verbreitet wird und davon ausgeht, dass die Menschen im Grunde von Eigeninteresse geleitet sind. Dieses Denkmuster findet man überall. Warum singen die Vögel? Um ihr Territorium zu markieren und Partner anzulocken. Warum spielen Kätzchen? Um Geschicklichkeit für die Jagd zu trainieren. Warum schmecken Himbeeren so köstlich? Um Tiere anzulocken, die sie essen und die Saaten wieder ausscheiden.
Ich finde solche Antworten entmutigend und für die Betroffenen ähnlich beleidigend wie die Frage, „Warum sollte es mich kümmern?“. Ich werde an dieser Stelle nicht versuchen, eine Alternative zum neo-darwinistischen genetischen Determinismus zu skizzieren, nur einen Gedanken anstoßen, der für eine Alternative spricht: Alle Wesen sehnen sich danach, ihre Lebensenergie in überschwänglicher Weise zum Ausdruck zu bringen. Vögel singen viel mehr, als sie müssten; Kätzchen spielen mehr, als sie müssten; Himbeeren schmecken viel besser, als sie müssten. Und auch Sie, mein Freund, möchten Ihre Gaben auf schöne Weise zum Ausdruck bringen – viel schöner, als es nötig wäre um Ihren Lebensunterhalt sicherzustellen.
Die Geschichte, die wir uns über jemanden erzählen, spricht eine Einladung an diesen Jemand aus, in diese Geschichte einzusteigen. Warum laden wir uns nicht gegenseitig zu der uns angeborenen Liebe für das Leben ein, die tief unter unseren Gewohnheiten und Sichtweisen der Getrenntheit vergraben liegt? Warum schaffen wir nicht Gelegenheiten, dieser Einladung zu folgen? Denn ich kenne Sie: Genau das werden Sie tun, wenn man ihnen die kleinste Chance dazu gibt.